Morgenland Festival

Osnabrück

© Andy Spyra

Von Ralf Döring. Naïssam Jalal hätte es bei einem Liebeslied belassen können, und das Morgenland Festival wäre in Schönheit und Innigkeit verklungen. Doch die Tochter syrischer Auswanderer hat eine musikalische Botschaft dabei, die sie singt, seit im syrischen Bürgerkrieg Menschen sterben und gefoltert werden, und die sie singen wird, „bis Bashar al-Assad und sein kriminelles Regime erledigt sind.“ Was dann beginnt, ist kein Song, sondern ein Epos: Eine Viertelstunde lang wechselt Jalal zwischen Querflöte und Gesang, und in den Momenten höchster Verdichtung singt und spielt sie gleichzeitig mit verblüffender Präzision.

Für die meisten Gäste vor der Open-Air-Bühne auf dem Osnabrücker Domvorplatz endet damit der offizielle Teil des Morgenland Festivals 2022. Ein Schluss unter der Überschrift Syrian Young Generation, der den Bogen zurück zum Beginn des Festivals schlägt. Zwei Wochen zuvor hatte das Festival mit der Uraufführung des Musiktheaterstücks Songs for Days to Come von Kinan Azmeh im Theater am Domhof begonnen. Ein ungewöhnlicher Start.

© Andy Spyra

Der Star zum Beginn, junge syrische Musikerinnen und Musiker zum Finale: Das klingt nach einer runden Sache. Doch dem Finale fehlen die Höhepunkte, in denen gute Komposition, gutes Arrangement und gute Umsetzung zusammenfließen. Das gilt diesmal auch für die Morgenland All Star Band. Normalerweise Garant für musikalische Premiumklasse, blieb die Formation mit Auftragskompositionen, die der Freundeskreis des Festivals finanziert hatte, unter ihren Möglichkeiten – was einerseits an den Stücken selbst lag, andererseits an der kurzen Arbeitsphase, die der Band zur Verfügung gestanden hatte. Auch die vor Testosteron strotzende Musik von Ivo Papasov und seiner Wedding Band muss man mögen, genauso wie Marc Sinans Versuch, in einer vielschichtigen Collage der Musik der Roma nachzuspüren – Kopfgeburten, deren Sinn sich nicht richtig erschließen mochte.

Die wahren Perlen dieser Festivalausgabe präsentierte der Leiter Michael Dreyer in den kleinen Projekten. Romengo spielt liebenswert authentisch die Musik ungarischer Roma; dazu singt Mónika Lakatos mit rauchiger Stimme, als hätte sie den Fado nach Ungarn importiert. Das bosnische Paar aus Merima Ključko (acc) und Jelena Milušić (voc) ist eine Wucht, schlägt einen lockeren Bogen von Bosnien nach Kuba und nimmt seine Zuhörer mit emotionalen Geschichten gefangen. Und mit Kayhan Kalhor, dem Weltstar an der Kamantsche, und Yasamin Shahhosseini an der Oud findet ein Duo aus dem Iran zu berauschender Klasse.

© Liudmila Jeremies

Nach dem Open-Air leitet schließlich die französisch-marokkanische Band Bab L’Bluz, auf Deutsch: „Das Tor zum Blues“, zur Party in der Lagerhalle über. Die Formation um die Sängerin Yousra Mansour führt Blues, Soul und Heavy Rock mit arabischen Rhythmen und arabischer Melodik zusammen und ist immer für eine Überraschung gut, als hätte das Quartett bei Zappa gelernt. Dank der starken Frontfrau vereint Bab L’Bluz packende Musik und Emanzipation – und zeigt, wie sehr es sich lohnt, bis zum Schluss zu bleiben.