© Liudmila Jeremies

Morgenland Festival

Osnabrück

Von Ralf Döring. Zum Abschluss gibt es in diesem Jahr eine echte Herausforderung: Rabih Lahoud, Florian Weber und das Ensemble Modern gestalten das Finale des Morgenland Festivals. Transforming Now hat Weber das Projekt genannt – Musik an der Schnittstelle von arabischer Kultur, Jazz und Avantgarde. Die Eckdaten zum Projekt stammen von Florian Weber. „Bilderrahmen“ nennt er seine Vorgaben, welche die Musiker mit Inhalten füllen. Dabei sind weder er noch Lahoud exponierte Solisten, sondern integrale Teile des Kollektivs. Dietmar Wiesner (fl), Sava Stoianov (tp), Giorgios Panagiotidis (v), Eva Böcker (cello), Paul Cannon (b) und Rainer Römer (dr) begeben sich risikofreudig in dieses einstündige Wagnis. Weber hat markante Orientierungspunkte gesetzt, ohne das arabische Maqam als strukturierendes Prinzip zu überdecken. So taucht die Musik ein in eine Spiritualität, steigert sich aus der Ruhe zum ekstatischen Ausbruch. Überwältigend ist der klangliche Reichtum der einzelnen Solobeiträge, überraschend, wie Lahoud anfangs den Improvisationen der Musiker wie eine Echospur folgt und sich allmählich emanzipiert, bis seine Stimmkunst die Führung übernimmt. Die verschiedenen Elemente verschmelzen zu einem überwältigenden Erlebnis, ohne die jeweilige Identität preiszugeben.

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Das Abschlusskonzert zieht die Quintessenz der 19. Ausgabe des Morgenland Festivals Osnabrück. Festivalleiter Michael Dreyer präsentiert diesmal zeitgenössischen Jazz mit liebenswertem afghanischem Akzent von Simin Tander und ihrer Band, ergänzt um den norwegischen Pianisten Tord Gustavsen. Woven Sounds steht für lupenreine traditionelle Musik aus dem Iran: Die Gesänge koordinieren beim Weben kunstvoller Perserteppiche die gemeinsame Arbeit; deshalb sitzt Sängerin Maryam Sadat Abtahi tatsächlich an einem Webstuhl, um ein vom Verschwinden bedrohtes immaterielles Kulturerbe unverfälscht zu übermitteln. Das Vokalensemble Capella Amsterdam erschließt mit Kompositionen der libanesischen Geigerin Layale Chaker und der iranischen Komponistin Aftab Darvishi faszinierende mikrotonale Welten und weist so auf die Avantgarde-Elemente des Abschlusskonzerts voraus.

Das Maqam stellt Kayhan Kalhor bereits beim Eröffnungskonzert vor. Wie Florian Weber beim Abschluss integriert sich der iranische Kamantsche-Virtuose in ein in diesem Fall fünfköpfiges Ensemble. Das Quintett fordert das Publikum mit einem einstündigen Epos heraus; auf die reinigende Leere muss man sich ebenso einlassen wie auf rauschhafte Trance. Ein spirituelles Erlebnis, das sich perfekt ins gotische Kirchenschiff von St. Marien fügt.

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Und schließlich ist da Aynur beim Open-Air-Konzert mit dem Osnabrücker Symphonieorchester auf dem Domvorplatz. Wolf Kerschek hat passgenaue Arrangements für das Orchester unter dem türkischen Dirigenten Naci Özgüç und ein Jazztrio geschrieben, die Aynur ein glänzendes Parkett bereiten. Solisten, darunter der Soloklarinettist des Orchesters, Marian Ghisa, und der fulminante Trompeter Frederik Köster, begeben sich in angeregte Dialoge mit Aynur, und die Sängerin selbst präsentiert sich auf dem Höhepunkt ihrer Kunst und reißt Musiker und Publikum gleichermaßen mit wie selten zuvor. Was für ein Fest!