© Liudmila Jeremies

Morgenland Festival

Osnabrück

Von Ralf Döring. Das war’s für Michael Dreyer: Das letzte Morgenland Festival Osnabrück unter seiner Leitung ist vorüber; im nächsten Jahr löst ihn die neue Leiterin Shabnam Parvaresh ab. Die in Teheran geborene Klarinettistin ist längst in Osnabrück heimisch geworden und hat sich zudem als Künstlerin, Komponistin und Kuratorin, kurz: als denkbar vielfältige Künstlerpersönlichkeit in der experimentellen Szene etabliert.

Diesmal hat sie als Festivalgast eine vielsagende künstlerische Visitenkarte abgegeben. Eigene Videos zeigen ihre Handschrift als Malerin und werden zur Basis freier Improvisationen auf der Bassklarinette, gleichzeitig erweitert sie ihr Klangspektrum mit Live-Elektronik. Das Ergebnis ist ein Statement zu den Missständen in ihrem Heimatland und eine Klage über die jüngsten Bombardements durch Israel, allerdings nicht mit der moralischen Keule. Parvaresh adressiert ihr Publikum vielmehr mit subtilen Botschaften, aber auch mit der nötigen Power.

© Liudmila Jeremies

Eingeladen hat sie der syrisch-amerikanische Klarinettist und Komponist Kinan Azmeh. Ihm hat Dreyer dieses 21. Morgenland Festival anvertraut, gewissermaßen als Scharnier zwischen Dreyers Ära und dem im nächsten Jahr beginnenden neuen Morgenland-Zeitalter. Und diese Funktion hat Azmeh mit einem Programm ausgefüllt, das einerseits den Gemeinschaftsgeist dieses Festivals aufgreift, andererseits zum musikalischen Selbstporträt geworden ist.

Mit nahezu allen seinen Gästen pflegt Azmeh freundschaftliche und musikalisch fruchtbare Kontakte, und so spiegelt das Programm seine unfassbare musikalische Bandbreite. Johann Sebastian Bachs Cello-Suiten in einer Fassung für Violine, die der unbegreiflich gute Geiger Johnny Gandelsman nachts in der Osnabrücker Bar Grand Hotel spielt, Avantgarde der Shabnam Parvaresh, das erste Streichquartett von Johannes Brahms mit dem sensationellen Quartett Brooklyn Rider (mit Johnny Gandelsman wahlweise an der ersten oder zweiten Geige) bis hin zu arabisch geprägtem Jazz – das Spektrum ist immens.

© Liudmila Jeremies

Musiker, die aus unterschiedlichen Traditionen kommen, denen diese Traditionen aber keine Grenzen setzen – das war Azmehs programmatisches Credo. Das Trio Dawn of Midi spielt in klassischer Klaviertrio-Besetzung knallharten Techno, der – unter anderem – mit marokkanisch inspirierten Polyrhythmen durchsetzt ist. Pianist Dinuk Wijeratne verschmilzt ebenfalls im Klaviertrio auf bezaubernd elegante Art Avantgarde mit melodiösen Geschichten und Einflüssen, die der gebürtige Sri Lanker aus der arabischen Welt aufgenommen hat.

Die breitbeinige, kraftstrotzende Version des arabisch inspirierten Jazz bot Tarek Yamani ebenfalls im Trio. Die palästinensische Sängerin Nai Barghouti schließlich spannt den Bogen von palästinensischen Folksongs über Pop bis hin zur avancierten Scat-Impro, in der Jazz arabisch wird und arabische Musik jazzig.

Ein besonderes, einmaliges Ereignis schließlich war ein Gesprächskonzert mit François Rabbath. Der in Aleppo geborene Musiker hat das Kontrabassspiel revolutioniert und ist zur Legende geworden, die nicht nur die französischen Chansonniers begleitet, sondern auch mit Ornette Coleman gespielt hat. Mit Sohn Sylvain am Klavier spielt er eine knappe Stunde, die getragen ist von seiner Musikalität, von der Virtuosität des 94-Jährigen, vor allem aber von Rabbaths Liebe zur Musik – und zu den Menschen. Ein emotionaler Höhepunkt in diesem in jeder Hinsicht einmaligen Morgenland Festival.