Internationales Jazzfestival

Saalfelden

© Frank Schindelbeck

Von Reinhold Unger. Runde Geburtstage verleiten manche zur sentimentalen Rückschau auf das Erreichte, zur erinnerungsseligen Best-of-Reprise. In Saalfelden ging man bei der 40. Festival-Ausgabe den umgekehrten Weg. Es gab erstmals zwei Artists in Residence (Maja Osojnik und Lukas König), das Programm wurde um zahlreiche (vorwiegend Gratis-)Konzerte und ungewöhnliche Spielstätten (Buchhandlung, Bezirksgericht, Schlossmuseum) erweitert. Im Stadtpark versuchten Impro-Größen wie Jim Black oder Ingebrigt Håker Flaten zwischen zwei DJ-Sets, ein junges Publikum in Feierlaune mit frei improvisierten kurzen Trio-Konzerten abzuholen. „Niederschwelligkeit mit hohem Anspruch“, nennt Intendant Mario Steidl das – und zeigte sich angesichts von insgesamt rund 25.000 Besuchern höchst zufrieden. Wie nachhaltig das Konzept ist, wird man wohl erst in einigen Jahren beurteilen können – wenn aus vom Gratis-Erlebnis spontan Begeisterten hoffentlich vielseitig Interessierte geworden sind, die für unkonventionelle Musik, die oft hochkonzentriertes Zuhören verlangt, auch mal zu bezahlen bereit sind.

Im Hauptprogramm stark vertreten war die derzeit allerorten hoch gehandelte Londoner Szene. Tenorsaxofonist Binker Golding wusste gleich dreimal zu überzeugen: im traumwandlerischen Duo mit Pianist Elliot Galvin, in einem frei improvisierenden, eigens für Saalfelden um ihn und Drum-Partner Moses Boyd gruppierten Ensemble und im Quintett von Neo-Bop-Pianistin Sarah Tandy. Wie man mit mehreren Bläsern plus Rhythmus die Essenz des Jazz herausdestilliert, zeigten Petter Eldh mit Koma Saxo aus europäischer und Joshua Redman mit Still Dreaming aus afroamerikanischer Perspektive – beeindruckend waren beide Sichtweisen. Anna Webbers Septett demonstrierte, wie man Ideen von Komponisten wie Xenakis oder Feldman faszinierend in Jazz-Strukturen weiterdenkt. Trompeter Lorenz Raab und Pianistin Sylvie Courvoisier (die auch zu einem Freiheit und Struktur erfolgreich ausbalancierenden Quartett um Ken Vandermark beitrug) gelang bei ihrer erstmaligen Begegnung eine Sternstunde intuitiver Duo-Kommunikation, während das bestens eingespielte Duo von Théo Ceccaldi (viol) und Roberto Negro (p) auf den Überwältigungsgestus schierer Virtuosität und in komplexen Kompositionen angesteuerte Schlusspointen setzte.

© Frank Schindelbeck

Natürlich blieben auch Enttäuschungen nicht aus, seien es die leblos-drögen Kompositionen, die der sonst so gewitzte Anthony Coleman für Studio Dan geschrieben hatte, oder – am anderen Ende des Dynamikspektrums – der hochtourige Power-Leerlauf von Saxofonist James Brandon Lewis. Ansonsten gab es mal gefällige, mal raffinierte Bigband-Klänge bei der Weltpremiere von Christian Muthspiels Orjazztra Vienna, Ohrenschmeichlerisches bei Frode Haltlis Avant Folk und wie immer viel Noisiges von Bands wie Abacaxi, Mopcut oder T(r)opic, die zum einen in Gitarrist Julien Desprez einen gemeinsamen Katalysator hatten und zum anderen bewiesen, dass auch Noise beileibe nicht gleich Noise ist. Unterm Strich darf der Jahrgang 2019 wohl als einer der besten der Ära Steidl seit dem Neustart 2006, wenn nicht sogar der ganzen, nunmehr 40-jährigen Festivalgeschichte gelten.