Taktlos

Silvan Schmid, Makossiri, Miao Zhao © Michelle Ettlin

Zürich

Von Pirmin Bossart. Taktlos, das Festival für grenzüberschreitende Musik in Zürich, garantiert seit 1984 musikalische Erlebnisse, die herausfordern, beglücken, irritieren. Im Nischengebiet von zeitgenössischem Jazz, freier Improvisation, Elektronik und Noise werden hier künstlerische Prozesse ausgelotet, die ganz aus dem Puls der Zeit kommen und die Hörerfahrungen des Publikums entwickeln. Seit 2017 wird das Programm von je einem Musiker oder einer Musikerin kuratiert.

In diesem Jahr stellte der in Zürich und Maastricht lebende Trompeter Silvan Schmid ein Programm zusammen, mit dem er sich auch selbst überraschen wollte, wie er im Vorfeld offenbarte. Statt einen üblichen Mix aktueller Jazz- und Impro-Bands zu präsentieren, fokussierte er sich auf eine internationale Auswahl junger Künstler*innen, die unkonventionelle Klänge und Spielweisen erforschen und an zwei Abenden mit ihren Projekten auftreten konnten. Am dritten Festivaltag kamen sie erneut zusammen, um nun als Solist*innen oder in neuen Konstellationen nochmals andere Facetten ihres Schaffens zu zeigen. Ein schöner Ansatz, um die Community zu stärken und ein Publikum daran teilhaben zu lassen.

Eröffnet wurde das Festival von X Ray Hex Tet, einem Kollektiv aus dem Umfeld des Café OTO in London mit Edward George (words), Paul Abbott (dr, synths), Billy Steiger (celesta), Seymour Wright (as), Pat Thomas (p, electr) und Crystabel Riley (dr). Sie kreierten eine Musik, die mit ihren repetitiven Modi und statisch-atmosphärischen Klangprozessen eher an ein schamanisch-urbanes Ritual erinnerte als an die gewohnten Jazzstrukturen mit Themen, Riffs, Soli oder an den Groove der freien Improvisation. Neben dem Pianisten Pat Thomas, der sich ebenso minimalistisch den Klaviertasten wie den elektronischen Sounds widmete, war Crystabel Riley mir ihrem widerständig fließenden Getrommel vielleicht die markanteste Stimme in diesem Kollektiv. Riley war am darauffolgenden Abend nochmals als Solistin zu erleben, wo sie stehend und gehend ihr Trommel-Set bearbeitete. Ihr eigenwilliger Zugriff auf ein Vokabular aus kraftvoll rollenden Patterns und queren Einschüben, der sehr intuitiv und präsent wirkte, war ein Höhepunkt des Festivals.

Das erweiterte Gamut Kollektiv aus Zürich, in dem auch Kurator Silvan Schmid mitspielte, performte eine extrem reduzierte, oft minutenlang in der Stille oszillierende und mit Textpassagen angereicherte Komposition der französischen Choreographin Lotus Eddé Khouri. Mit seinen radikalen Leerstellen an musikalischer Aktion stand das Set in diametralem Gegensatz zur gepfefferten Reizüberflutung des Hardcore-Noise-Techno-Sets vom Vorabend mit der afrikanischen Laptop-Musikerin Makossiri, Miao Zhao (cl, electr) und Silvan Schmid (tp, mixing desk).

Crystabel Riley (beide Bilder © Michelle Ettlin

Dagegen wirkte die Musik des Trios gabbro um die belgische Bariton-Saxofonistin Hanne De Backer geradezu konventionell. Die Mischung aus modalem Jazz und freier Impro, die mit dem kraftvollen Gebläse von De Backer auch den Spiritual Jazz anklingen ließ, hatte Bezüge zur Jazz-Vergangenheit, ohne altbacken zu sein. Die letzten Sets der Abende waren Ohrenöffner für digitale Sound-Experimente. DJ Diaki vom Nyege Nyege Kollektiv aus Uganda forderte die Tanzfreudigen mit seinen 170-bpm-Tracks und polyrhythmischen Kaskaden heraus. Einen Abend später walzten die Laptop-Künstler*innen B4 und XV06-Y ihre harsche Mixtur aus dekonstruierten Beats und dystopischen Sound-Hexereien in die Gehörgänge. Grenzüberschreitende Musik war beim Taktlos 2023 kein leeres Versprechen. Auch wenn man sich oft im Niemandsland fühlte.