Theaterhaus Jazztage

Stuttgart

Andreas Schaerer und Hildegard lernt fliegen bei den Internationalen Theaterhaus Jazztagen 2022 © Rainer Ortag

Von Jochen Reuter. Mit großen Namen und auf zehn Tage gestreckt sind die 33. Theaterhaus Jazztage über die Bühnen des Hauses auf dem Stuttgarter Pragsattel gegangen. 16 Veranstaltungen (darunter vier Doppelkonzerte) mobilisierten rund 5000 Besucher. Dem Appell, nach wie vor eine Schutzmaske zu tragen, kamen so gut wie alle nach. Dennoch wurde deutlich, dass die Rückkehr des Publikums nach zwei Jahren pandemiebedingt eingeübter Kontaktvermeidung kein Selbstläufer ist. In kluger Voraussicht hatten Theaterhaus-Leiter Werner Schretzmeier und sein Programmplaner Wolfgang Marmulla den Festivalzeitraum von fünf auf zehn Tage verlängert, um Abläufe und Menschenströme zu entzerren. Positiver Nebeneffekt: Alle Künstler konnten sich mit ungekürzten Auftritten präsentieren – was im verdichteten Festival-Schedule sonst nicht immer realisierbar ist –, bei deutlich weniger Überschneidungen. Entsprechend positiv fiel Werner Schretzmeiers Bilanz aus: „Mit einer Auslastung von 60 Prozent wurde unsere Kalkulation sogar leicht übertroffen – wir hatten mit 50 Prozent gerechnet.“

Fulminant gleich der Auftakt: Kein Zweifel, dass die Jan Garbarek Group mit Perkussions-Magier Trilok Gurtu eines der faszinierendsten Jazzquartette unserer Zeit ist – in ihrer lyrischen Qualität und poetischen Projektionskraft noch immer unerreicht. Ob auf der Bühne oder im Saal – allerorten war eine neu erweckte Lust am Livemusik-Erlebnis spürbar. Auch im Doppelkonzert zum Ausklang: Im schwarz-weiß-gestreiften Anzug präsentierte Iiro Rantala sich als veritable Wundertüte. Ob Ragtime, Bebop oder Popsong – der sympathische Finne findet zu jedem Genre seinen eigenen Zugang, nicht selten auch mit humoristischer Note. Dass Rantala sowohl jazzmusikalisch wie klassisch ausgebildet ist, verleiht seinem Spiel eine eigentümliche Faszination. Mit „Freedom“ gestaltete er einen grandiosen Höhepunkt: Handtuch und Papier im Inneren des Flügels sorgten für ungewohnte, mal cembaloähnliche, mal schnarrende Minimal-Music-Klangwirkungen.

Nicht weniger vielfältig der folgende Auftritt des Tingvall Trios, das sein aktuelles Album Dance vorstellte: exzellent konzertanter Jazz, mitreißend auch dann noch, wenn wie bei „Vägen“ der Rhythmus mal etwas versteckter daherkommt. Tatsächlich tänzerisch ging es bei der dritten Auflage der Dance/Jazz Fusio mit FUMMQ, dem Ferenc und Magnus Mehl Quartett sowie vier Tänzern des Stuttgarter Balletts zu. Modern Jazz trifft Modern Dance: Zu den Klängen von „Traumtänzer“ bewegten sich Miriam Kacerova und Roman Novitzky, der auch die Choreografien entwickelt hatte, in einem Pas de deux durch alle Anziehungs- und Abstoßungsphasen einer Beziehung.

Erika Stucky © Rainer Ortag

Mit gleich zwei Bands stand Richie Beirach auf der Bühne: mit dem Sirius Quartet, wie der US-amerikanische Pianist eigens aus New York eingeflogen, improvisierte Beirach über Musik von Beethoven, Bartók und Chatschaturjan, mit seinem European Quartet, bestehend aus Gregor Hübner (v), Veit Hübner (b) und Michael Kersting (dr), interpretierte er John Coltranes „Transition“ und Eigenkompositionen wie „Elm“ oder „Pendulum“. Noch immer frappierend an Beirach: zartfühlende Empfindsamkeit und Naturgewalt in einer Person. Hildegard lernt fliegen, Camille Bertault und David Helbock gestalteten weitere Highlights.