Megaphon

Von Jan Kobrzinowski

Wird alles ernster (war es das nicht schon immer?), ist die Leichtigkeit (falls wir je eine hatten) der Spaßgesellschaft (was immer das sein soll) perdu? Pandemie und Krieg haben Folgen auch für den Humor. Das stellte der Komiker Atze Schröder kürzlich (in einem sehr ernsten ZEIT-Interview) fest. Es könnte in Zukunft mehr um Haltung als um Pointen gehen. Viele Fragen werfen sich zurzeit auf. Zieht man bei uns zu schnell ernste Schlüsse aus der Weltlage, die eigentlich eine gesellschaftliche ist? Hängen Kunst und intellektuelle Szene in der Romantik fest, in der sich alles um das deutsche Ich dreht? Mit der typisch deutschen Nachdenklichkeit mit Hang zu Zweifel und Selbstmitleid. Bist du in deinem Job noch richtig? Was machst du da eigentlich? Kunst gibt Gottseidank auf solche Fragen lieber künstlerische als triviale Antworten. Sie ermöglicht uns, hinzuschauen, zu betrachten, zu reflektieren, bei sich und Mensch zu bleiben, vielleicht sogar ab und zu ein Stück vom verletzten deutschen Ich zurückzutreten. Was können wir noch tun? Möglichst nicht elitär werden, manchmal vielleicht weniger tief schürfen. Mitgefühl und Solidarität zeigen. Humor behalten. Und, wieder der erwähnte Comedian: Was die Haltung angeht, Impulse setzen, statt Leute verändern zu wollen. Kunst spricht eine andere Sprache als Propaganda, aber auch als die Kritik an der Öffentlichkeit, die wieder mal einem neuen Strukturwandel unterliegt. Klar hilft es, hinter die Dinge zu schauen, sie besonnen zu betrachten und darüber zu diskutieren. Aber unser Metier, die Musik, kann und darf, außer zu zornigem Diskurs und zu mehr Haltung anzuregen, auch etwas sein, was einfach blank liegende Nerven beruhigt.

Manuela Krause © WDR

 

Die weniger spektakulären, aber bemerkenswerten Nachrichten vom Deutschen Jazzpreis 2022, vergeben auf der jazzahead! in Bremen: Der Kölner Stadtgarten wurde Spielstätte des Jahres. Wir gratulieren. Auch der Radio-Journalistin Manuela Krause, die den Preis für Jazzjournalismus für ihre Moderationen bei WDR und DLF Kultur erhielt. „Eine der herausragenden Radiostimmen in der deutschen Jazzlandschaft, (…) die ihren Hörer*innen ein vertieftes Verständnis und Hörvergnügen ermöglicht“, sagte Stefan Hentz in seiner Laudatio. Der Sonderpreis ging an Sebastian Gramss’ Hard Boiled Wonderland und dessen engagiertes Projekt Music Resistance für seine „grandiose Überzeugung, Hingabe und einen sichtlich schonungslosen Mut und Aufwand“. Die Vergabe des Jazzpreises 2023 wird noch mehr in die jazzahead! integriert sein und am zweiten Tag der Messe vergeben, die Verleihungen 2024 und 2025 werden der Jazzstadt Köln anvertraut. Ausführlicher Bericht über die diesjährigen weiteren Preise und ihre Verleihung in diesem Heft.

www.deutscher-jazzpreis.de

Neben dem Deutschen und dem Neuen Deutschen gibt es auch den Jungen Deutschen Jazzpreis Osnabrück 2022. Ihn schreibt das Institut für Musik der Hochschule Osnabrück (IfM) bereits zum achten Mal in Folge aus und will so „vielversprechende Jazz-Studierende auf ihrem Weg in die Professionalität unterstützen“. Junge Ensembles mit bis zu sieben Mitgliedern können sich bis 15.9. unter jazzpreis@hs-osnabrueck.de bewerben.

Petter Eldh © Hans Kumpf

Der älteste der deutschen Jazzpreise, 1981 initiiert von Joachim-Ernst Berendt und seit 2009 dotiert mit 15.000 Euro, wird nun zum 42. Mal vom Land Rheinland-Pfalz und vom Südwestrundfunk vergeben. In diesem Jahr geht der SWR-Jazzpreis an den schwedischen, in Berlin lebenden Kontrabassisten, Bandleader und Komponisten Petter Eldh. Die Übergabe findet am 10.10. im Rahmen vom Enjoy Jazz bei einem Konzert von Eldhs Trio Enemy (mit Kit Downes und James Maddren) in Ludwigshafen statt.

www.swr.de

Cyrille Aimée © Colville Heskey

Im Augsburger Botanischen Garten und im Brunnenhof finden zwischen 6.7. und 10.8. zum 30. Mal Konzerte mit erstklassigem Live-Jazz statt. Eröffnen wird am 6.7. Kenny Garrett, es geht weiter mit John McLaughlin (13.7.) und Cyrille Aimée (20.7.). Weitere Highlights: Rymden, Hermeto Pascoal und das Christian Stock Infinity Quintett.

www.augsburger-jazzsommer.de

Was sind Päpste und was tun sie? Als Oberhäupter stehen sie für das Unveränderliche, und schon gar nicht weichen sie im Allgemeinen von der reinen Lehre ab, um sich fortan als „Jazzpäpste“ fernöstlichen Weisheiten und Klangforschungen zuzuwenden. Ganz zu Recht liebte Joachim-Ernst Berendt das ihm aufgeklebte päpstliche Etikett so gar nicht. Und so umstritten manches, was er gesagt, getan oder in seinem Spätwerk aufgeschrieben hat, für manche war, so lassen wir hier und heute doch den lieben Papst einen guten Mann sein und würdigen JEB für das, was er für die Musik, insbesondere den Jazz in Deutschland, in mehr als 50 Jahren Wirkungszeit getan hat. Von 1950 bis 1987 leitete er die Jazzredaktion des Südwestfunks, den er nach dem Krieg mitbegründet hatte. 1953 erschien die erste Auflage seines vielgelesenen Standardwerks, des Jazzbuchs. 1964 gründete er mit Ralf Schulte-Bahrenberg die Berliner Jazztage, produzierte zeitlebens mehr als 10.000 Jazzsendungen im Rundfunk und war für 250 Schallplatten verantwortlich, viele darunter wegweisend, einige bahnbrechend. Vor 100 Jahren, am 20.7.1922, wurde Joachim-Ernst Berendt geboren. Im Februar 2000 fiel er in Hamburg einem Verkehrsunfall zum Opfer.

Allen Blairman © Hans Kumpf

Der amerikanische Schlagzeuger Allen Blairman, die „Legende aus der Nachbarschaft“, ist am 29.4. in seiner Wahlheimat Heidelberg gestorben. Er spielte mit Charlie Haden, Archie Shepp, Karl Berger, Mal Waldron, Albert Mangelsdorff, Peter Kowald und vielen anderen, aber auch mit Embryo sowie zuletzt mit seinem Trio Variety. Blairman wurde 81 Jahre alt.

Judith Hill

Die Stuttgarter Jazzopen sind eines der Mega-Festivals hierzulande. Mit 58 Konzerten auf sieben Bühnen an elf Tagen (7.-17.7.) auf dem Schlossplatz und im Alten Schloss sowie Club-Acts (BIX Jazzclub und SpardaWelt Eventcenter) geizt Stuttgart weder mit großen Namen (Herbie Hancock, Sting, Joe Jackson, Stanley Clarke) noch mit Genres (Jazz, Tango, Pop, Americana, Soul, Funk etc.). Daneben gibt es Gratis-Konzerte auf zahlreichen Open Stages in StadtPalais, Musikpavillon und Kunstmuseum.

www.jazzopen.com

 

Oscar Jerome © Joshua Atkins

Das rührige Aktivteam vom Jazztime Ravensburg e.V. veranstaltet am 9.7. im dortigen Bärengarten ein hochkarätig besetztes Open-Air-Festival. 2021 gab es pandemiebedingt nicht genug Planungssicherheit für die „Jazztime in Town“. Jetzt aber! Und zwar mit Nils Petter Molvær-Eivind Aarset-Samuel Rohrer, Bill Evans, Randy Brecker, Billy Cobham als Highlights. Et cetera.

www.jazztime-ravensburg.de

Weltstars hautnah erleben“ kann man vom 7. bis 10.7. beim Rivertone in Straubing. Topacts sind u.a. Joss Stone, die Modern Standards Supergroup und Andrea Motis. Rivertone beschließt sein Fest mit der „Noche Cubana“ mit El Nene, hiervon gehen alle Ticket-Einnahmen an in Straubing lebende Flüchtlingskinder aus der ganzen Welt.

www.rivertone.de

Der Bassist Charnett Moffett starb im Alter von nur 54 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts. Er spielte in McCoy Tyners Band, bei Art Blakey und Ornette Coleman, mit Kevin Eubanks, Dizzy Gillespie, Herbie Hancock, Joe Henderson, Kenny Kirkland, Joachim Kühn, Frank Lowe, mit der gesamten Marsalis-Familie, Bette Midler, Wallace Roney, Pharoah Sanders, Arturo Sandoval, Tony Williams – um nur einige zu nennen.

 

Der APPLAUS, die Auszeichnung der Initiative Musik und Kulturstaatsministerin Claudia Roth, würdigt bundesweit kulturell herausragende Livemusikprogramme und Spielstätten mit Auszeichnungen in jeweils drei Haupt- und Sonderkategorien mit Preisgeldern von insgesamt 2,4 Mio. Euro. Die Bewerbungsphase startete am 25.4.

www.initiative-musik.de

Roberto Masotti © Francesca Romana Gaglione

Rund 200 ECM-Cover und -Booklets zieren Fotos des italienischen Fotografen Roberto Masotti, der nicht nur Keith Jarrett, Dewey Redman, Charlie Haden, Paul Motian, Jan Garbarek, Palle Danielsson, Jon Christensen, Gary Peacock und Jack DeJohnette im Studio ablichtete, sondern auch für die Mailänder Scala fotografierte sowie experimentelle Musik dokumentierte. Masotti starb am 25.4. im Alter von 75 Jahren in Mailand.

Frederik Mademann, bekannt als Saxofonist der Jazzrausch Bigband, erhielt den Förderpreis des Jazzfests Bonn (1.500 Euro und ein Arbeitsstipendium von je 500 Euro/Monat für drei Monate) für eigene Projekte, seine künstlerische Arbeit und seinen kreativen Ansatz als Musiker.

www.jazzfest-bonn.de

Viele US-Amerikaner*innen beneiden ihre Kolleg*innen z.B. in Deutschland und Frankreich, wo es immer wieder staatliche Hilfen gibt. Davon kann im Mutterland des Jazz kaum die Rede sein. Dort trifft es auch etablierte Künstler wie den Bassisten, Produzenten und Klangvisionär Bill Laswell, der nicht nur mit den Folgen der Pandemie, sondern auch mit Gesundheitsproblemen kämpft. Mit eindringlichen Worten bittet er um Hilfe: „Emergency! Ich kämpfe darum, mein Studio zu behalten, muss eine neue Wohnung suchen. Ich bitte ganz ernsthaft um eure Hilfe, um weitermachen zu können. Von jedem von euch, egal von woher.“ Kein Beitrag ist zu klein.

www.musichertz.blogspot.com/2022/06/bill-laswell-gofundme.html

Der argentinisch-französische Bandoneonist Juan José Mosalini war ein bedeutender Vertreter des modernen Tango und blickte auf eine 50-jährige Karriere zurück. Er arbeitete auch mit Astor Piazzolla und gründete das avantgardistische Ensemble Guardia Nueva. Mosalini starb im Alter von 79 Jahren in Paris.

Ulrike Haage © Jörg Steinmetz

Ulrike Haage ist Pianistin, Komponistin und auch Hörspielautorin. Nun erhielt sie, die mit so unterschiedlichen Künstler*innen wie FM Einheit, Alfred Harth, Phil Minton, aber auch mit Peter Zadek, Meret Becker und der Popband Rainbirds zusammenarbeitete, für ihr Hörspiel-Lebenswerk den Günter-Eich-Preis 2022, benannt nach einer der Ikonen der deutschsprachigen Hörspielkunst.

www.leipziger-medienstiftung.de

Die Deutsche Jazzunion ist als Sprachrohr der Jazzmusiker*innen wichtige Ansprechpartnerin für die Politik auf Bundesebene. Nun wählten die Mitglieder einen neuen Vorstand: Anette von Eichel, Felix Falk, Robert Lucaciu, Gabriele Maurer, Nikolaus Neuser, Johanna Schneider und Janning Trumann repräsentieren als ehrenamtliches Gremium für drei Jahre mehr als 1.400 Mitglieder.

www.deutsche-jazzunion.de

Der IB.SH-JazzAward 2022 ging im Rahmen der JazzBaltica an den Pianisten Ilja Ruf, der von der Ostsee aus Timmendorfer Strand stammt. Die Investitionsbank Schleswig-Holstein, auch Hauptsponsor des Festivals, stiftete den mit 3.000 Euro dotierten Preis zum 15. Mal.

www.jazzbaltica.de/ibsh-jazzaward-fuer-ilja-ruf

 

Luca Bassanese & La Piccola Orchestra Popolare

Saalfelden in den österreichischen Alpen ist vom 18. – 21.8. nicht nur „Hotspot für Jazz und improvisierte Musik“, sondern auch Ort der Verkostung hervorragender neuer Jazzweine. Topacts beim 42. Jazzfestival sind: Trondheim Jazz Orchestra & Jason Moran, Emile Parisien feat. Theo Croker, Vijay Iyer, Gard Nilssen’s Supersonic Orchestra, Y-Otis, Jason Moran solo, Gard Nilssen Acoustic Unity u.v.m. – Übrigens: Der Jazz Saalfelden Weekender, Festivalausgabe im Pandemiejahr 2020, erhielt den österreichischen Kunstsponsoringpreis Maecenas.

www.jazzsaalfelden.com

Der Wiener Schlagzeuger Wolfgang Reisinger, eine Zentralfigur des österreichischen Jazz, ist im Alter von 67 Jahren gestorben. Er war in Klassik und Neuer Musik zu Hause, kam beim Vienna Art Orchestra zum Jazz, spielte mit Dave Liebman und dem London Symphony Orchestra. Seine erste musikalische Ausbildung hatte er bei den Wiener Sängerknaben erhalten.

FLOCK © Jari Kivelä

Der Herbst beginnt in Dresden schon im Sommer, zumindest für die dortigen Jazztage, die in diesem Jahr das Festivalmotto „Europa der Herzen“ tragen. Bereits vom 26. – 28.8. lädt man zum Ostra-Dome-Open-Air ein, mit den Klazz Brothers Cuba Percussion & Philharmonie Salzburg, Tina Tandler und Andrej Hermlin. Vom 21.10. – 20.11. treten dann im Hauptfestival viele internationale Stars und einheimische Ensembles auf. Das ständig aktualisierte Festivalprogramm unter:

www.jazztage-dresden.de

Larry Appelbaum

Glückwunsch an Larry Appelbaum, US-Jazzjournalist und Radiomoderator, zum Erhalt des renommierten DC Jazz Honors Award! Der Preis wird für herausragende Beiträge von Personen vergeben, „die als Botschafter des Jazz im Dienste des guten Willens und der Kulturdiplomatie unterwegs sind“. Frühere Preisträger waren u.a. Quincy Jones, Ron Carter, Kenny Barron, Dave Brubeck, Roy Haynes, Chucho Valdez und George T. Wein.

Rainer A. Rygalyk © Žiga Koritnik

Rainer A. Rygalyk, österreichischer Jazz-Fotograf, galt als einer der Besten seiner Zunft im Alpenland. Der Gründer und langjährige Herausgeber des Magazins JAZZLIVE starb am 1.5. im Alter von 68 Jahren.

Schon in den 1970er und 80er Jahren trugen seine Synthie-Klänge zur Erkenntnis bei, dass rein elektronisch erzeugte Musik auch Seele haben kann: Evangelos Papathanassiou „Vangelis“, Komponist aus Griechenland und Pionier elektronischer Musik. Er kreierte nicht nur New Age und Dark Ambient, sondern arbeitete auch mit Rock- und Popmusikern zusammen (Aphrodite’s Child, Yes, Jon & Vangelis) und schrieb legendäre Filmmusiken (Chariots of Fire, Blade Runner, 1492). Vangelis starb am 17.5. mit 79 in Paris.

Die Musikplattform Qobuz hat anlässlich des Diversity Day die deutsche Musiklandschaft analysiert und die Top-20-Charts-Songs seit 2000 auf das Geschlecht der Künstler*innen untersucht. Das Ergebnis: 74% der Top-Musiker*innen sind Männer, nur 26% sind Frauen. 2021 wirkten gerade mal bei 7% der Songs in den Top 20 Frauen mit.

www.qobuz.com

Wie kann das sein? Die Antwort der Schlagzeugerin und Professorin Eva Klesse auf solche Zahlen: Sie initiierte auf Facebook eine Liste, die täglich länger wird: Jazzmusikerinnen in Deutschland. Es gibt sie, und zwar viele!

Damit dem Jazz auch in Zukunft der weibliche Nachwuchs nicht ausgeht, organisiert JazzDanmark fünftägige Jazzworkshops, in denen für Mädchen im Alter von 10 bis 15 ein sicherer Raum zum Üben, Improvisieren und Selbstvertrauen-Aufbauen geschaffen wird. Das Konzept wurde in Dänemark 2014 eingeführt und landesweit erfolgreich entwickelt. Nun wird das JazzCamp nach Schweden, Finnland und Polen expandieren. Jazz North/England übernahm die Idee schon 2019.

www.danishjazz.com/jazz-camp-for-girls

Running Gag? Bis zum 28.4. gab es einen juristischen Dauerstreit zwischen dem Rapper Moses Pelham und der Band Kraftwerk. Nun hat das OLG Hamburg mit seinem Urteil in mittlerweile 10. Instanz den Unterlassungsanspruch von Kraftwerk abgewiesen. Fortan können Ralf Hütter und Kraftwerk Pelham und seinem Label 3p nicht mehr verbieten, den Tonträger „Nur mir“ von Sabrina Setlur zu verwerten, auf dem sich eine knapp zwei Sekunden lange Sequenz aus Kraftwerks „Metall auf Metall“ befindet.

Rainer A. Rygalyk © Žiga Koritnik