In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Yelena Eckemoff

I Am a Stranger in this World

L&H / In-Akustik

4 Sterne

Es ist schwer, mit dem Output der amerikanischen Exilrussin Yelena Eckemoff mitzuhalten. Erst im letzten Jahr veröffentlichte die Pianistin ein Doppelalbum mit finnischen Musikern, ihr neues Album mit wiederum ausschließlich amerikanischen Musikern ist gleich wieder ein doppeltes. Ihre elf langen Kompositionen sind inspiriert von biblischen Psalmen, das kann – etwa in „I Shall Not Want“ – sogar in die Blues-Richtung führen. Mit dem Trompeter Ralph Alessi, den Gitarristen Adam Rogers und Ben Monder, dem Bassisten Drew Gress und den Schlagzeugern Nasheet Waits und Joey Baron tummelt sich die Prominenz auf I Am a Stranger in this World, auf einigen Songs kommt der Geiger Christian Howes hinzu, Eckemoff selbst spielt erstmals nicht nur Klavier, sondern auch Orgel, Fender Rhodes und Synthesizer. Die mäandernden Stücke sind durchweg von hoher Qualität, enthalten – vor allem auf der zweiten CD – auch immer wieder freie Passagen, die völlig selbstverständlich daherkommen. Alessi und die beiden Gitarristen dominieren solistisch, aber es ist vor allem der sich subtil verändernde Gruppenklang, der die Faszination von Eckemoffs Musik ausmacht. Die Pianistin ist bekennende Melodikerin, die ihren Musikern aber keinerlei Fesseln in Bezug auf die Interpretation ihrer Musik anlegt, und so ist das Doppel-Album ein eindrucksvoll dickes Paket von zeitgenössischem Modern Jazz.

Rolf Thomas

Nicole Johänntgen

Solo II

Selmabird / NicoleJohaenntgen.com

4 Sterne

Auf dem letztjährigen Jazzfestival im schwedischen Ystad spielte die in der Schweiz lebende Saxofonistin Nicole Johänntgen ein geheimes Solokonzert in der Klosterkirche, das nächtliche Musizieren im Dunkeln spielte ganz wunderbar mit dem Raum und seinem Nachhall. Offensichtlich war es eine Generalprobe, denn nur eine Woche darauf nahm die Saxofonistin in der Cappella di San Gottardo am Gotthardpass ihre zweite Solo-CD auf. Die Kapelle liegt auf 2100 Metern Höhe und ist winzig, verfügt dafür aber für einen faszinierenden Nachhall, so dass viele der Saxofonlinien mehrstimmig erscheinen. Die meisten der zehn Eigenkompositionen wurden auf Johänntgens Hauptinstrument, dem Altsaxofon, eingespielt, doch auch Sopransaxofon und Baritonsaxofon kommen zum Einsatz. Eigentlich ist das Hauptinstrument dieser Soloaufnahme der Raumklang, und den nutzt die Musikerin perfekt, sie spielt schnelle Läufe, hört ihnen hinterher, lässt den Tönen Platz, sich zu entfalten. Durch die vielen Pausen kann die Musik atmen. Und auch das Element der Dynamik macht Solo II spannend. Im letzten Stück wechselt Nicole Johänntgen zwischen Baritonsax und Stimme, führt quasi einen Dialog mit sich selbst, der meditative Einsatz der Stimme mit Obertongesang-Einschlag ist ein gelungener Abschluss einer runden Aufnahme. Tourdaten mit Solokonzerten in den verschiedensten Schweizer Kirchen lassen sich auf der Website der Künstlerin finden.

Angela Ballhorn

Frizz Feick

Nordwärts

Reet Poet / JPC

4 Sterne

Nachdem er letztes Jahr die Vier-Track-Liebeserklärung Frühling auf Pellworm veröffentlichte, legt Reet-Poet Frizz Feick in Kooperation mit Produzent (und Fury in the Slaughterhouse-Sänger) Kai Wingenfelder nun mit vier weiteren Stücken nach, versammelt auf Nordwärts, einer „Hommage an die Beatles, die Frauen, die Liebe und vor allem das Meer“. Die tastet sich in Form von „John, Paul, Ringo, George und ich“ mit einem mal sentimentalen, mal verschmitzten Singer/Songwriter-Rückblick auf Feicks autobiografisches Popmusikerweckungserlebnis heran – eine Befindlichkeitsform, die auf dem des Musikers Meerweh besingenden „So weit weg von mir“ zur altersmild-warmen Melancholie erblüht, aus der ein Refrain mit schlagereskem Four on the Floor-Beat dann aber brutal herausreißt, was zu bedauern ist, da dieses Stück alles an Harmonien, Melodie und Text hat, um als Akustikgitarrenstück ohne weitere Produktion bestehen zu können. Da erfreut der Titeltrack „Nordwärts“, der als stille Pianoballade und endlich erfüllter Wunsch klanggewordenes Am-Meer-Sitzen verkörpert – eine Stille, die nicht nur dem Seesüchtigen, sondern auch der Platte guttut, so dass sogar gutzuheißen ist, wenn sich der Track zum dada dum day-Mitswinger wandelt. Der Cat Calling-reiche Rausschmeißer „Frauen im Sommer“ besticht mit Midtempo-Rock und jeder Menge Wortwitz, womit Frizz Feick vielleicht nicht mehr, wie er 2014 unter effektvollen Streichereinsatz großspurig tönte, „zu laut für Berlin“ ist – aber die schönste Nordsee-Insel im Wattenmeer gehörig aufmischen dürfte. Und jetzt hab ich Lust auf Meer.

Victoriah Szirmai