In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Joachim Kühn

Touch the Light

ACT / Edel:Kultur

5 Sterne

Reduktion ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Joachim Kühn gehört ohne Zweifel dazu. Sein neues Solo-Album braucht nicht viel mehr als einen guten Flügel, ein paar Balladen sowie einen Musiker, der sich auf das Wesentliche konzentriert. Kein Schnickschnack, keine elaborierten Verzierungen, keine Arabesken. Stattdessen lässt Kühn die Melodien in der Leere des Raumes schweben, getragen nur von seinem unvergleichlich intensiven Anschlag und dem Gespür für den lyrischen Kern der Stücke. Es ist ein Meisterwerk, gerade weil der heute 76-Jährige gar nicht erst versucht, sein Improvisations-Genie über die Musik zu pfropfen, sondern weil er sich lieber zurücknimmt und sich ganz in den Dienst des Liedes stellt. Dabei wollte Kühn ursprünglich nie ein Balladen-Album aufnehmen. „Vielleicht wenn ich neunzig bin“, soll er auf diesen Vorschlag geantwortet haben. Doch während des Pandemie-Jahres 2020 hatte er in seinem Haus auf Ibiza mehr Zeit denn je, setzte sich immer wieder an sein Instrument und spielte so nach und nach 13 Stücke ein, die ihn besonders berührt haben. Das Spektrum reicht dabei vom Allegretto aus Beethovens 7. Sinfonie (ausgewählt nicht nur wegen der melancholischen Grundstimmung, sondern auch, weil Kühn durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit dem großen Komponisten aufweist) über Bill Evans’ „Peace Piece“ bis hin zu „Purple Rain“ von Prince. Absolut traumhaft wirken aber auch der elegante Jazz-Standard „Stardust“ und vor allem Bob Marleys „Redemption Song“, der in Kühns ätherisch-schlichter Interpretation eine einzigartige Intensität aufweist. Das Beste kann so einfach sein.

Thomas Kölsch

Shai Maestro Quartet

Human

ECM / Universal

5 Sterne

Bereits vor gut zwei Jahren überzeugte der israelische Pianist Shai Maestro auf seinem ECM-Debüt The Dream Thief mit lyrischen Klängen, die immer wieder orientalische Anklänge beinhalten. Die Fachwelt lobte den Pianisten, der in der Band von Avishai Cohen seine internationale Karriere begann. Nun folgt mit Human die zweite ECM-Platte auf das gelungene Debüt. Ein Titel, der vielleicht gerade in die Zeit passt, in der wir doch so viel schmerzlich vermissen, was das Mensch-Sein ausmacht. Auch hierbei arbeitet Maestro mit seinem Trio, bestehend aus dem israelischen Schlagzeuger Ofri Nehemya und dem peruanischen Bassisten Jorge Roeder zusammen. Eine neue Facette bringt der US-amerikanische Trompeter Philip Dizack in das bestens eingespielte Trio. Die elf Tracks stammen fast ausschließlich aus der Feder Maestros, lediglich Ellingtons „In a Sentimental Mood“ bildet eine Ausnahme. Wie gut Dizack sich in das feste Trio fügt, zeigt beispielsweise seine virtuose Spielweise in „GG“, die absolut unisono zu Maestros Klavierspiel verläuft – so etwas funktioniert nur, wenn auch die Chemie stimmt. Die passt auch bei der Balance zwischen den verschiedenen Musikern – jeder kommt auch mal als Solist zu seinem Recht und überzeugt, ohne dabei das melodische Ganze aus dem Blick zu verlieren. Shai Maestro und seinen Kollegen ist es gelungen, ein in sich ruhendes Album herauszubringen, das zugleich weder Virtuosität noch Improvisationskunst vermissen lässt.

Verena Düren

Andreas Brun / Vladimir Karparov / Simon Rainer

New Urban World Melodic Grooves

Laika / Rough Trade

3,5 Sterne

Andreas Brun ist auf diesem Album an der akustischen Gitarre, sein Kollege Simon Rainer an der elektrischen. Dritter im Bunde ist der bulgarische Saxofonist Vladimir Karparov. Was die Formation so außergewöhnlich macht, sind die Bass-Funktionen, die mal von Brun, mal von Rainer übernommen werden und den Klang des Ensembles so reichhaltiger machen, als es drei Musikern eigentlich möglich ist. Zusammen mit Karparovs osteuropäischen Einflüssen ergibt das eine Mischung, die so wohl nur in Mitteleuropa entstehen kann. In Hans Hartmanns „Swindia“ werden musikalische Elemente aus der Schweiz mit Skalen aus Indien vermischt, und auch in den anderen acht anderen Titeln, darunter Charles Mingus’ berühmte Ballade „Goodbye Pork Pie Hat“, geht es ziemlich kosmopolitisch zur Sache. Allerdings nicht so, dass es aufgesetzt oder mühsam wirken würde – nein, allen drei Musikern geht der Ritt durch die Kulturen lässig und selbstverständlich von der Hand. Mit beiden Musikern hat Brunn zuerst jeweils im Duo zusammengespielt, bevor er auf die Idee kam, daraus ein Trio zu formen. Die wunderschöne Ballade „Sky“ zählt zu den Höhepunkten auf New Urban World Melodic Grooves, Komponist Rainer hat sich dabei von dem legendären Album Beyond the Missouri Sky von Pat Metheny und Charlie Haden inspirieren lassen.

Rolf Thomas