In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Sissoko / Segal / Parisien / Peirani

Les Égarés

ACT / Edel:Kultur

5 Sterne

Es ist eine ganz ungewöhnliche Instrumentenkonstellation: Auf dem Album Les Égarés finden zwei eingespielte Duos zusammen, die zu viert aber nicht weniger faszinierende Musik schaffen. Da sind auf der einen Seite der Cellist Vincent Segal sowie der afrikanische Kora-Spieler Ballaké Sissoko. Und auf der anderen Seite eines der führenden französischen Duos mit Akkordeonist Vincent Peirani und Saxofonist Emile Parisien. Gemeinsam ist es dem neu gegründeten Quartett gelungen, eine Aufnahme zu schaffen, die eine Balance zwischen den Musikrichtungen und -stilen, aber auch den außergewöhnlichen Musikerpersönlichkeiten findet. Bei ihrem ersten Zusammentreffen 2019 versprachen sich die vier Musiker ein Projekt ohne Konkurrenz, ohne zu starre Planungen. Diesem Credo sind Sissoko, Segal, Peirani und Parisien dann auch treu geblieben, was aber auch die Arbeit am Album über drei Jahre hinweg erklärt. Zu den zehn Tracks der Platte hat jeder der Musiker beigetragen, vor allem handelt es sich um Eigenkompositionen aus den Federn von Sissoko, Segal und Peirani, aber es findet sich beispielsweise auch ein Klassiker des Akkordeonisten Marc Perrone. Les Égarés ist im wahrsten Sinne des Titels das Verloren-Sein vierer hervorragender Musiker, die es sich zum Ziel gemacht haben, sich mit all ihren verschiedenen Hintergründen fallen zu lassen im gemeinsamen Musizieren, auf der Suche nach einem gemeinsamen Klang, immer melodisch, trotzdem frei und hochvirtuos. Und das hört man!

Verena Düren

Samuel Leipold

Ostro

ezz-thetics / NRW

4 Sterne

In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre schlugen The Jimmy Giuffre 3 im Jazz einen neuen Ton an, der amerikanischen Cool Jazz von der Westküste mit Elementen der Moderne europäischer Klassik verband. Giuffres kleines Ensemble, besetzt mit Klarinette bzw. Tenor- oder Baritonsaxofon, Gitarre und Kontrabass, klang intim, atmosphärisch, ja manchmal fast traumversunken: Klänge wie hinter Milchglas. An diese Vision knüpft der Schweizer Gitarrist Samuel Leipold mit seinen beiden Kollegen Jürg Bucher (cl) und Luca Lo Bianco (b) an, wobei die drei Giuffres Konzept für die Gegenwart fruchtbar machen, ohne es einfach zu übernehmen oder zu kopieren. Was sofort auffällt, ist der kammermusikalische Ton: Nie klingt die Musik aufbrausend, schon gar nicht brachial, vielmehr bestimmt ein lyrisch-verhaltener Gruppenklang das Geschehen, der auf Ebenmäßigkeit abzielt und oft eine melancholisch-verhangene Stimmung verbreitet. Darüber hinaus ist er voller Poesie. In einem organischen Wechselspiel von ausnotierten Sequenzen und fantasiegeleitetem Stegreifspiel entsteht eine kontrapunktische Verschlungenheit, die mit großer Disziplin durchgehalten wird, wobei jeder der drei Musiker genau die ihm zugeteilte Rolle spielt, sich manchmal in den Vordergrund schiebt, um sogleich wieder ins zweite Glied zurückzutreten. In ihren besten Momenten erreicht die Musik von Leipold, Bucher und Bianco eine Art Schwebezustand, der schon beinahe transzendent wirkt.

Christoph Wagner

Schoenecker / Sasse / Schieferdecker

Trio Tales

JazzJazz / Broken Silence

5 Sterne

Dieses Trio swingt unglaublich! Und in der Musik von Gitarrist Joachim Schoenecker, Pianist Martin Sasse und Markus Schieferdecker am Kontrabass zeigt sich einmal mehr, dass gekonnt und intelligent interpretierter Straight-AheadMainstream-Jazz zeitlos ist. Von Sasse stammen vier der Album-Kompositionen, darunter der „Groovy Waltz“, ein echter Ohrwurm, der alle Beteiligten zu spannenden Soli inspiriert. Bei diesem transparenten Stück zeigt sich ganz besonders auch die klangliche Qualität der Aufnahme von Klaus Genuit aus dem Bonner Hansahaus Studio, bei der sich sofort der ideale „Live im Abhörzimmer“-Effekt einstellt. Joachim Schoenecker hat zwei weitere Eigenkompositionen beigesteuert, die mit seinem Solo über „Autumn in New York“ und den Standards „Body & Soul“ und „Pannonica“ absolut harmonieren. Perfektion strahlt auch Schoeneckers Gitarrenton aus, der die klassische, leicht holzige Lebendigkeit von Wes Montgomery mit der warmen Eleganz von Jim Hall verbindet. Dieses an einem Studio-Tag eingespielte Album ist aus einem Guss, und es vermittelt das Erlebnis eines perfekten Sets. Bassist Markus Schieferdeckers Rolle in diesem Trio ist dabei kaum zu überschätzen, denn seine dezenten Linien tragen und verbinden so intensiv und dynamisch wie seine Solo-Spots aufblühen und berühren. Neben dem Sound-Design ist auch die grafische Gestaltung des schönen DigiPaks von Katerina Trakakis & Svenja Wittmann absolut gelungen. Intensiv!

Lothar Trampert