Gregor Huebner / Richie Beirach / Veit Huebner

Testaments

4,5 Sterne

o-tone / Edel:Kultur

Im Mai ist der amerikanische Pianist Richie Beirach 75 Jahre alt geworden, die letzten 25 Jahre davon hat er eine intensive Arbeitsbeziehung und Freundschaft mit dem Geiger Gregor Huebner und dessen Bruder, dem Bassisten Veit Huebner. Das 3-CD-Set Testaments kündet – hauptsächlich in Duo-, es sind aber auch zwei Trio-Aufnahmen dabei – von dieser musikalischen Verbindung und beinhaltet, man muss es so euphorisch sagen, pure musikalische Magie. Dabei ist es besonders verblüffend, wie groß die musikalische Bandbreite ist, die die drei abdecken. Von Improvisationen über klassische Vorlagen (von Bach bis Bartók ist alles dabei) über Jazz-Standards (zum Beispiel Wayne Shorters „Footprints“ und Bill Evans’ „Nardis“) bis zu Eigenkompositionen und spontanen Improvisationen reicht die Palette. Dabei ist Beirach ein gefühlvoller Interpret von Balladen, aber auch ein gewitzter Experimentator, und in Kurt Weills „This is New“ gibt er gar den Tastenlöwen mit donnernden Pranken. Gregor Huebner spielt extrem fetzig in John Coltranes „Transition“, kann aber, wie etwa in Beirachs „Zal“, ganz zurückhaltend und sensibel agieren. Und Veit Huebner, der vornehmlich auf der dritten CD, die dem verstorbenen Bassisten und langjährigen Beirach-Partner George Mraz gewidmet ist, zu hören ist, verfügt über einen elegant hingetupften Ton und hat zudem zwei Kompositionen beigesteuert, die von einer zarten Hingabe geprägt sind.

Rolf Thomas

Swiss Jazz Orchestra & Christoph Irniger

The Music of Pilgrim

nWog / Indigo

4 Sterne

Christoph Irniger ist eher als Saxofonist kleinerer Formate bekannt, die Bands Cowboys from Hell, Counterpoints oder eben die Formation Pilgrim tragen seine Handschrift. Er hat sich nicht wie viele Kollegen während der Lockdowns noch mehr verkleinert und ein Soloprogramm im Wohnzimmer aufgenommen, sondern die Philosophie der legendären Bigband von Mel Lewis und Thad Jones studiert und eigene Stücke, ursprünglich für Pilgrim entstanden, für die Großformation eingerichtet und arrangiert. Irniger versteht die Bigband als einziges großes Instrument, mit dem er als Komponist und Arrangeur spielt. Massige Klanggebilde zu Beginn des Albums mit gestopften Trompeten und verschiedensten Holzblasinstrumenten, die das Basssolo von Lorenz Beyeler umrahmen, lassen aufhorchen. Irniger schöpft die Möglichkeiten vor allem bei den Bläsern voll aus, das war auch eines seiner Hauptaugenmerke beim Studium von Bigbandstücken. Als Solist tritt Irniger nur bei zwei Stücken in den Vordergrund, aber seine Handschrift trägt das gesamte Projekt ja sowieso. Sieben Stücke hat die Bigband aufgenommen, eine gute Stunde Programm. Das Swiss Jazz Orchestra ist ein etablierter Klangkörper, in dem jeder den anderen kennt und untereinander viel in anderen Kontexten gearbeitet wird. Das Eingespieltsein der großen Formation ist neben den interessanten Kompositionen von Christoph Irniger ein Plus dieser Aufnahme – dass brillante Solisten wie Sonja Huber (Vibrafon) oder Reto Suhner (Saxofon) im Orchester sitzen, ein weiteres Plus.

Angela Ballhorn

Helge Lien & Knut Hem

Villingsberg

Ozella / Galileo

4 Sterne

Kurios: Rund sechs Jahre nach der Veröffentlichung von Hummingbird, dem Debüt des unkonventionellen Duos des norwegischen Pianisten Helge Lien mit dem Bluegrass-Gitarristen Knut Hem, erscheint mit Villingsberg ein Nachfolger mit zehn Tracks, die bei denselben Sessions im Osloer Propeller Music Division’s Studio B eingespielt wurden wie Hummingbird. Über die Gründe kann man lediglich spekulieren. Um Ausschuss handelt es sich jedenfalls nicht, das wird bereits mit dem ersten Höreindruck klar. Erneut trägt das Album deutlich die Handschrift von Hem: Acht der Titel stammen aus seiner Feder, Lien hat lediglich „Konkylien“ beigesteuert, das im Unisono-Diskant ausgesungen wie ein Wiegenlied klingt. Dazu covern sie Béla Flecks „Big Country“, womit ihnen ein famoser Ausklang gelingt. Womit der Schlüsselbegriff gefallen ist: Country und Americana-Folk sind der Nährboden dieser Musik. Das liegt maßgeblich auch an der Instrumentierung: Hem wechselt zwischen Dobro und Weissenborn-Lapsteel-Gitarre. Doch die reine Lehre ist hier natürlich nicht gefragt: „Lost in the Market“ etwa leistet sich sogar einen Fingerstyle-Picking-Flirt mit maurisch-iberisch angehauchten Flamenco-Arabesken. „Sildrebekken“ bietet Lien Gelegenheit, Stride-Piano-Kompetenz zu zeigen. Herausragend ist das Titelstück: eine zwingende Ballade, halb Blues, halb Irish-Folk-Shanty, und irgendwie hallt darin auch noch ein Echo von Nina Simones manischer „Sinnerman“-Interpretation wider.

Harry Schmidt