In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Peter Fessler

Solo Time

Mons / NRW

4,5 Sterne

Urlaub für die Ohren und die Seele ist Peter Fesslers neues Album. In schönem Wechsel hat der Gitarrist und Stimmakrobat deutsch-kanadischer Abstammung Duo- und Solo-Platten herausgebracht – nun ist wieder Solo Time. Fessler kombiniert Eigenkompositionen mit absoluten Klassikern, wobei das eine das andere nicht ausschließt. So ist sein Song „New York – Rio – Tokyo“, den er in den 80ern für die Band Trio Rio schrieb, bis heute ein Ohrwurm und beschließt die Platte. Doch auch „You Are So Beautiful“, „What a Diff’rence a Day Makes“ oder das „Girl from Ipanema“ finden sich auf der Platte. Gerade bei den vermeintlich ach so bekannten Klassikern gelingt es Fessler, diesen noch mal seinen ganz eigenen Stil zu verpassen. So erklingen sie mal in leicht variierter Rhythmik oder auch ungewöhnlich entspanntem Tempo. Sehr entspannt klingen auch seine eigenen Stücke, die er größtenteils an den Anfang der Platte gestellt hat: „We Don’t Have No Other World“ spricht wohl gerade so ziemlich jedem aus der Seele und ist ein kritischer Beitrag zum Zustand der Erde. Al Jarreau widmet er den Song „Waltz for Al“ und kreiert ein wunderschönes Liebeslied mit „Your Eyes“. So ist Peter Fessler, der bekannt ist für sein Können an der Gitarre sowie seine vier Oktaven umfassende Stimme, ein weiteres wunderbares Solo-Album gelungen. Nur einen kleinen Wermutstropfen gibt es: Vereinzelt lässt ihn inzwischen die stimmliche Intonation im Stich – aber auch nur, wenn man genau hinhört.

Verena Düren

Jazz à la Flute

Essenza

GLM / Edel:Kultur

3,5 Sterne

Duo-Paarungen gibt es ja nun schon seit Jahrzehnten in den verschiedensten Kombinationen im Jazz. Die Kombi Flöte/Gitarre ist relativ ungewöhnlich, obwohl absolut reise- und transportfreundlich und zudem musikalisch nicht minder reizvoll, da die Flöte mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten für die ebenso vielseitig verwendbare Gitarre wie geschaffen scheint. Prominente Paare wären z.B. die verstorbene Gitarrenlegende Joe Beck und die amerikanische Flötistin Aly Ryerson oder hierzulande das Uwe Kropinski/Michael Heupel-Duo. Das nordamerikanische Duo wie auch Jazz à la Flute mit Isabelle Bodenseh und Lorenzo Petrocca ist im Modern Mainstream angesiedelt. Das Repertoire besteht aus Standards, Jazzoriginals wie den modernen Klassikern „Lonnie’s Lament von Coltrane, Captain Marvel“ von Chick Corea oder Gassenhauern wie „Tico Tico“, denen der eigene Stempel aus dem spontanen Spiel heraus aufgedrückt wird. Technische Geräte und avantgardistische Experimente bleiben außen vor. Die Songs werden geformt, gebogen, erweitert und mit Mitteln moderner Jazz-Improvisation und wie bei der Flöte mit instrumentalklanglichen Spieltechniken gestaltet bzw. angereichert, wobei Petrocca ein absolut sicheres rhythmisches Fundament liefert, was die reale Rhythm Section nahezu nicht vermissen lässt. Das bringt die fast vierjährige Zusammenarbeit der beiden mit sich. Nichts grundlegend Neues, aber ein interessanter Farbtupfer im aktuellen Jazzgeschehen.

Andreas Ebert

Marcin Wasilewski Trio & Joe Lovano

Arctic Riff

ECM / Universal

4 Sterne

Kann Jazz entspannen und gleichzeitig aufregend oder anregend sein? Bei Joe Lovanos Projekten in den letzten Jahren liegt die Vermutung nahe. Marcin Wasilewski, 1975 im polnischen Slawko geboren, fand bereits als Teenager den Zugang zur polnischen Jazz-Szene. Vorbilder wie Carla Bley, Keith Jarrett, Bobo Stenson und Bill Evans wiesen ihm musikalisch den Weg. Wasilewski hat eine leichtfüßig federnde Klaviertechnik und einen sehr lyrischen Ton. Arctic Riff ist eine leise Anspielung auf das Nordische in dieser Musik. Sie klingt nach der Weite unberührter Landschaften, die elf Stücke schlagen eine Brücke zwischen europäischer Tradition und Jazz-Improvisation. Das kann wie in „Cadenza“ auch schon mal in Free-Jazz-Gefilde führen, doch klangliche Schönheit steht dabei immer im Vordergrund. Als Komponist zeigt Wasilewski in Stücken wie „Fading Sorrow“ große melodische Fähigkeiten. Lovano übernimmt das Thema, und dann darf Wasilewski als sensibler Solist glänzen. Bassist Slawomir Kurkiewicz ist ihm darin ebenbürtig. Da dominiert Gefühl und klanglicher Erfindungsreichtum über leere Virtuosität. Mit gestrichenem Kontrabass eröffnet er das psychedelische „Arco“. Das klingt wie eine rein akustische Umsetzung der verrückten Experimente, die Soft Machine und Pink Floyd so um 1970 unternahmen. Und eigentlich ist es noch viel besser. Der Reiz dieser Formation besteht ohne Zweifel in der Balance aus gekonnt durchkomponierten Stücken und spontaner Interaktion.

Andreas Schneider