Winterjazz

Köln

© Gerhard Richter

Von Jan Kobrzinowski. Kommt die „Zeitenwende“ auch über die Jazzwelt? Das Programm studieren – was wird denn gegeben? Aha! – sich gemütlich einen Act nach dem anderen zu Gemüte führen, dazwischen genehmigt man sich einen, tauscht hier und da Skepsis oder Gefallen über dies und jenes aus. Jazzkritiker*innen ruhen in sich selbst und ihrem Urteilsvermögen, treffen bekannte Gesichter, die üblichen Verdächtigen, man altert Seite an Seite. Zu Beginn dieses Jahres wollte ich es wissen, habe mich für einen ganzen Tag aus dem Staub gemacht, obwohl das Programm bei Münsters Internationalem Jazzfestival gewohnt infektiös und wie immer durchdacht und attraktiv ist. Doch am Sonntag bin ich ja wieder da, keine Angst. Ein Tag in Köln sollte drin sein.

Und ich sollte es bekommen, mein Abenteuer: Bei meiner Ankunft im Kölner Stadtgarten war noch alles ruhig, auch draußen eine Stunde vor Beginn noch nichts los, man kann noch schnell eine Kleinigkeit beim Italiener gegenüber essen. Dann plötzlich ist es knallevoll beim Winterjazz, dem All-Area-Showcase im Saal, JAKI und Café, alles bei freiem Eintritt. Das Kölner Publikum ist im Durchschnitt jünger, es windet sich draußen als Menschen-Schlange bis weit auf die Venloer Straße. Ich muss auch drinnen kämpfen, für den Überblick, den ich als redlicher Journalist brauche, will ja schreiben, was hier los ist. Ich kämpfe mich also durch, nach dem gleichen Prinzip wie beim Einlass: Schlange vor dem JAKI-Keller, nur wenn jemand rauskommt, darf man rein, dicke Luft in all Areas, nur das Kölsch am Tresen läuft gewohnt schnell, falls man durchkommt.

Die Acts heißen hier Molass, hilde, The Human Element, Christian Lorenzens Silver Motion, Yaroslav Likhachev Quartett, Raissa Mehner Deviation u.a. Gespielt wird neue, aufregende Musik ohne Furcht, die nicht nur zeigt, auf welch hohem Niveau Musiker*innen heute ausgebildet werden, sondern was sie nach einiger Reifezeit so alles ansammeln, was ihnen dann neben Jazz noch zum Output zur Verfügung steht. Das erschöpft sich nicht in HipHop und Neuer Musik. Auch Electronics und Sample-Ästhetik (Silver Motion), Folk- und Vokal-Acoustics (hilde), Klangwelten (Marlies Debacker am Flügel) kommen zum kreativen Einsatz. Aber auch hier gibt es noch Klaviertrios, wie das Jan Lukas Roßmüller Trio: Erdung. Gespickt mit Abstraktion, aber eben auch geerdet in der Tradition des Formates.

Liegt hier die Zukunft, in Zusammenkünften, die uptempo und divers sind? Alles ist hervorragend kuratiert und offenbar auch clever finanziert, Winterjazz wie die Cologne Jazzweek. Immer mehr sind es die Musiker*innen selbst, hier Angelika Niescier, dort Janning Trumann, die es in die Hand nehmen. Höchste Zeit für internationale Festivals, ein Spotlight auf Germany zu richten. Ich treffe einige ausländische Festivalchefs, die genau deswegen hier sind. Nun fehlt uns hierzulande nur noch die entsprechende Exportstruktur, wie es sie anderswo schon längst gibt. Sorry, übrigens, Münster, für den einen Tag – soll nicht wieder vorkommen … oder doch?