© Niclas Weber

NICA Live Special / Winterjazz

Köln

Von Jan Kobrzinowski.

Lustvolles Gedränge und der Kampf um die beste Strategie, Steh- oder Sitzplatz irgendwo in der All Area des Stadtgartens zu bekommen – das ist das Jazz-Ritual zum Neuen Jahr. Der Winterjazz in Köln lehnt sich an das New Yorker Winter Jazzfest an, den Januar-Marathon durch Manhattan. Aber auch Köln kann cool. Einzelne Musiker*innen pflegen eh gute Beziehungen in die USA. Die Vision von NICA (dem Künstler*innen-Förderprogramm NICA Artist Development) und Stadtgarten ist dabei, ausschließlich die innovative Kölner Szene abzubilden.

Seit zwei Jahren lädt NICA am Winterjazz-Vorabend zum Live Special die professionelle Jazzszene in den exklusiv reservierten Stadtgarten. Gemeinsam mit weiteren Interessierten traf man sich diesmal erst zu Häppchen und Getränken, danach standen frisch ausgepackte und spannende Work-in-Progress-Projekte wie Luise Volkmanns Formation mit Phil Donkin, Paul Jarret und Oli Steidle sowie komplex gereifte Ensembles wie Fabian Dudeks Day by Day einem handverlesenen, kritischen, aber begeisterten Publikum gegenüber. Volkmann bot spürbar Unfertiges, am Horizont dämmerte aber das Potenzial eines fulminanten Bandprojektes. Auch auf Stimmkünstlerin Laura Totenhagens angekündigte „groß angelegte Produktion“ darf man nach intensivem Soloauftritt im JAKI gespannt sein. Der Bassist Stefan Schönegg präsentierte Enso: A Simplified Space mit der Klavier-Exploratorin Marlies Debacker und Etienne Nillesen an der Extended Snare Drum.

© Niclas Weber

NICA und Winterjazz besitzen beide den Charme des Showcase-Festivals: Man wechselt zwischen drei Konzertsälen hin und her – je nach Interesse und Durchhaltevermögen – und wurde von Artist-Developerin Esther Weickel durch den Freitagabend geführt. Tags darauf war man beim Winterjazz auf sich selbst gestellt. Sich durch den Abend treiben zu lassen, wäre eine schöne Idee. Einen Großteil der Acts mitzubekommen, ist hardcore, aber machbar. Gleich zu Beginn, beim Worldjazz-Opener Essence of Duality mit dem Sitarspieler Hindol Deb, erhaschte ich nur einen kurzen Blick um die Ecke – zu voll. Im JAKI-Keller kam es zum ersten Highlight: Dort gelang dem Tenoristen Victor Fox mit Bläserkollege Asger Nissen plus Bass und Schlagzeug eine Verbindung von Ornette Coleman und komplexer Rhythmizität: Mumble Jazz der muntersten Sorte. Frei und ungebunden zwischen Experimental und Free agierten die Trios des Pianisten Felix Hauptmann Percussion mit Leif Berger (dr) und Roger Kintopf (b) sowie NICA-Artist Theresia Philipp (as) mit Losing Color. Letztere mit großer Bandbreite in Dynamik und Ausdruck und dem bemerkenswerten Keyboard-Artisten Jozef Dumoulin.

© Niclas Weber

Annette Maye (bcl) und Zuzana Leharovà (v) loteten die Unterschiedlichkeit ihrer Instrumente aus und postulierten ein Statement für traditionelles Jazz-Zusammenspiel. Ebenso klar jazzig agierte Bastian Stein (tp) mit seinem grandiosen Rhythmusteam Phil Donkin/James Maddren. Einige personelle Überschneidungen in den Besetzungen unterstrichen den Werkstattcharakter beider Festivalabende. Unterdessen spielten sich mehrere Indie-/HipHop-/Neo-Soul-/Song-orientierte Gigs (Luca Müllers Lucaxixi, MOLASS, Maika) in der Gastronomie-Zone des Stadtgartens ab und zogen dort ein dichtgedrängtes Clubpublikum in ihren Bann. Dass sich die professionelle Szene in Köln und gesamtdeutsch künstlerisch und organisatorisch verjüngt, konnte man an beiden Abenden ablesen. Die grauen Eminenzen der Branche sind noch da, aber optisch bereits in der Minderzahl.