Afra Kane
Der Blick aus dem Fenster
Seit die in Italien geborene Sängerin, Pianistin und Komponistin 2019 in Montreux mit dem Jazz Talent Award geadelt wurde, hat sie ein erstaunliches Arbeitstempo vorgelegt. Ihrem Umzug vom Studienort Cardiff in die Schweiz folgten eine Reihe von Singles, eine EP, das Album Hypersensitive sowie weltweite Gastspiele, die große Erwartungen weckten.
Von Eric Mandel
Ihr Major-Debüt Could We Be Hole eröffnet Afra Kane mit großem Understatement: einer Gesangsübung. Der sich daraus entwickelnde Song öffnet das Fenster in eine nur vermeintlich vertraute Welt. In ihren Songs brechen sich Soul, Jazz, Lied, Klavierkonzert und Ibo-Gospel in einem ganz besonderen musikalischen Prisma. Was zuerst spröde wirkt, gewinnt bald an Strahlkraft und ist bedingungslos persönlich.
Eric Mandel: Es sieht so aus, als sei für dich alles sehr schnell und glatt gegangen. War das wirklich so?
Afra Kane: Es ist interessant, wie anders die Wahrnehmung von außen ist. Für mich war es nicht so schnell und leicht. Im UK habe ich mich eingeengt gefühlt. Ich sang in einer Coverband, aber ich wollte mein eigenes Material schreiben. In der Schweiz kannte mich niemand, ich konnte dort ich selbst sein, mich ans Klavier setzen und komponieren. Ich fand Musiker, die mit mir spielen wollten, und in der Hinsicht ging es dann wirklich schnell, auch dank des Montreux-Festivals. Aber wenn es darum ging, mich zu definieren, war es immer ein bisschen schwierig. Ich bin klassisch ausgebildet, mag Jazz und Soul und habe Wurzeln in Nigeria. Ich habe mich immer als Alternative Soul/Jazz definiert, aber mein Stil ist eher kompositionsgebunden. Ich trage also gerne verschiedene Hüte, und das entsprach nicht immer den Erwartungen, die ich als schwarze Frau wecke.
Eric Mandel: War eine Karriere als klassische Pianistin eine Option für dich?
Afra Kane: Ja, das war zu Beginn mein größter Traum. Aber ich merkte, dass es schmerzhaft war, sich ganz der einen Geschichte zu verschreiben. Nicht, dass Interpretation an sich nicht kreativ ist, aber ich wollte auch meine eigenen Stücke schreiben und spielen, und ich habe das Singen vermisst.
Eric Mandel: Mit anderen Vorzeichen erinnert deine Geschichte an Nina Simone.
Afra Kane: Na klar. Ich habe in meiner Jugend nicht viele schwarze Konzertpianist*innen gesehen. Und als ich ihre Geschichte las, fühlte ich eine Verbindung, aber was Diskriminierung betrifft, habe ich nie so leiden müssen wie sie. Ich selbst fühlte mich in Cardiff etwas festgelegt auf eine bestimmte Erwartung an Jazz. Mein akademischer Background ist anders, meine Inspiration kommt von moderner klassischer Musik oder auch Schönberg und Skrjabin. Die Leute betrachten das als getrennte Welten, aber das stimmt nicht. Es ist ein Kontinuum, und ich stecke mittendrin.
Eric Mandel: Fällt es dir leicht, mit neuen Musikern zu kommunizieren und sie dazu zu bringen, deine Musik zu interpretieren?
Afra Kane: Ja und nein. Ich habe in der Regel eine ziemlich klare Idee, was ich mit meiner Musik will, und kann da auch sehr obsessiv werden. Das funktioniert nicht mit allen Musiker*innen. Ich verlasse mich auch ein bisschen auf meine Musiker, das zu vermitteln, wenn jemand Neues dazukommt, speziell auf Emilio Vidal, den Gitarristen, mit dem ich seit dem Beginn meiner Karriere spiele.
Eric Mandel: Mich hat erst irritiert und dann beeindruckt, wie ökonomisch du mit der Musik umgehst. Bei einem Major-Debüt hättest du ja auch aus dem Vollen schöpfen können.
Afra Kane: Ich brauchte Fokus. Warner gab mir eine Deadline von sechs Monaten. Es hatte zweieinhalb Jahre gedauert, Hypersensitive zu machen, das ich eben erst veröffentlicht habe. Ich bin kaum dazu gekommen, es zu promoten, geschweige denn oft genug aufzuführen. Und nun musste ich tief in etwas Neues eintauchen. Drei Monate zum Schreiben, drei zum Produzieren, das war eine Herausforderung. Ich musste mich aufs Nötigste beschränken. Und so kam es auch, dass ich über Dinge rede, die eigentlich neu für mich sind. Düstere Dinge wie Träume vom Tod.
Eric Mandel: Wie unterscheidet sich nigerianische Gospelmusik von amerikanischer?
Afra Kane: Das kommt tatsächlich auf die Tribes an. Ich bin Ibo, und da gibt es einfach eine Sorte Gospel, mit der ich groß geworden bin, weil meine Mutter sie oft aufgelegt hat. Einen der schnelleren Rhythmen kannst du im zweiten Teil von „Palabras“ hören. Auch in „Paranoia“ gibt es einen tribalistischen Rhythmus mit etwas albtraumartigem Feeling, das ist meine Verbindung zu den Ahnen. Ich sage Albtraum, aber ich bin stolz darauf. Je seltsamer desto besser. Ich bin der supersauberen Musik überdrüssig. Ich mag Noise. Ich weiß nicht, wie ich das erklären kann.
Eric Mandel: Hypersensitive war der Titel deines letzten Albums. Wie beeinflussen sich deine Musik und deine persönliche Wahrnehmung der Welt?
Afra Kane: Meine Musik ist definitiv ein Spiegel meiner Hypersensibilität. Ich bin sehr reserviert und kann distanziert erscheinen, weil ich mich selbst schütze. Aber in der Musik gibt es weniger Distanz und weniger Selbstschutz. Also teile ich mich über Themen wie das Impostor-Syndrom und „Self Forgiveness“ mit, oder wie Hypersensibilität einen dazu bringt, schnell beleidigt zu sein, Dinge zu zerdenken. Du spürst eigene Emotionen sehr intensiv, aber auch die anderer Menschen. Das ist sehr schön, aber es kann auch ein Problem werden. Die Leute erzählen mir zum Beispiel, ich solle Zurückweisung nicht persönlich nehmen. Intellektuell kann ich das verstehen, aber emotional ist es sehr schwer, mich nicht total mit meiner Kunst zu identifizieren, denn sie ist ein Teil von mir.
Aktuelles Album:
Afra Kane: Could We Be Hole (Warner)