Megaphon

Von Guido Diesing

Warum es enorm erfreulich ist, dass der Ruf „Wir sind mehr!“ in diesem Jahr so oft und laut gegen Ausgrenzung und Hetze ertönt, muss im Rahmen eines Magazins, in dem seit jeher Vielfalt, kulturelle Begegnung und Individualität im Mittelpunkt stehen, wohl kaum näher erklärt werden. Viele zu sein, sich mit seinen Überzeugungen nicht allein zu fühlen, tut gut und macht Mut.

Deutlich seltener hört man ein überzeugtes „Wir sind mehr!“, wenn es unter Jazzinteressierten um die eigenen musikalischen Vorlieben geht. Zu sehr hat man sich realistischerweise daran gewöhnt, mit einer Vorliebe für Swingendes, Improvisiertes, Experimentelles oder gar Avantgardistisches in einer elitären Nische zu Hause zu sein. Und mal ehrlich – Massengeschmack zu sein, ist doch auch nicht erstrebenswert. Aber ein erstauntes „Wir sind mehr, als wir meinen!“ wäre durchaus angemessen, wenn man die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage sieht, für die das Allensbach-Institut die musikalischen Vorlieben der Bevölkerung erfragt hat.

Dabei gaben erstaunliche 25,2 % der Befragten an, also immerhin über ein Viertel, dass sie „sehr gern“ bzw. „auch noch gern“ Jazz hören. (In your face, Volksmusik und Blasmusik, die ihr nur auf lächerliche 21 % kommt!) Eine zwar in den vergangenen 20 Jahren leicht gesunkene, aber doch beachtliche Zahl, die nahelegt, dass die Nische gar nicht so klein ist. Nun wollen wir nicht verschweigen, dass andere Musikrichtungen wie Rock und Pop (72,5 %), Oldies (65 %) und Schlager (46 % – das tut weh!) deutlich höhere Werte verzeichnen. Und niemand – egal ob in Musik oder Politik –, der sich nicht komplett lächerlich machen will, sollte sich bei Zustimmungswerten um die 20 % als eine Kraft sehen, die die bestehenden Verhältnisse schon bald zum Kippen bringen wird. Aber ein wenig mehr Selbstbewusstsein dürfte es für den Jazz eben schon sein, wenn es um finanzielle Förderung und mediale Präsenz geht.

Eine weitere Überraschung, die man beim Blick ins Publikum bei vielen Jazzkonzerten nicht erwarten würde: Der Anteil der Interessierten unter Frauen und Männern ist annähernd gleich hoch, der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist nur in der Sparte „Country, Folk, Weltmusik“ noch geringer als beim Jazz. Der Anteil der Menschen, die Interesse am Besuch von Jazzfestivals bekunden, ist – wenn auch auf niedrigem Niveau – sogar leicht gestiegen, die Vorsicht aus der Nach-Pandemie-Zeit zumindest statistisch nicht mehr spürbar. Dass das Interesse insbesondere in den Bevölkerungsgruppen mit hohem Bildungsstand und hohem Einkommen überdurchschnittlich groß ist, überrascht nicht. Allerdings gibt es dabei einen erstaunlichen Ausreißer: Das Festival-Interesse der Gruppe mit dem höchsten Nettoeinkommen wird nur von einer anderen Gruppe übertroffen: der mit dem niedrigsten Einkommen von monatlich unter 1.000 €. Wie das? Erinnert man sich an die Ergebnisse der Jazzstudie 2022 der Deutschen Jazzunion, die ergeben hatte, dass ein Drittel der Jazzmusiker*innen ein Jahreseinkommen von weniger als 10.000 € erzielt, drängt sich der bittere Verdacht auf, dass ein Teil dieser potenziellen Festivalbesucher keine bloßen Fans oder Interessenten sind, sondern – die Musiker selbst.

Mehr Futter für alle, die Spaß an Zahlen haben, unter:

https://miz.org/de/musikleben/statistiken

Auf einen Zuschuss zu schmalen Honoraren können Jazzschaffende in Baden-Württemberg hoffen. Das Kunstministerium des Landes unterstützt auch 2024 die heimische Jazzszene aus „The Länd“, wie es fremdschamerregend in der Pressemitteilung heißt, mit rund 360.000 . „Die Landesregierung fördert Auftritte von Künstlerinnen und Künstlern im In- und Ausland“, erklärt Kunststaatssekretär Arne Braun. „Wir stärken Clubs und Festivals und präsentieren Jazz made in Baden-Württemberg auf großen Bühnen.“ Z.B. auf der jazzahead!: Neben dem Programm am Gemeinschaftsstand „Jazz Baden-Württemberg“ wird es in diesem Jahr in Bremen eine Clubnight mit drei baden-württembergischen Bands geben.

jazzahead! 2024

 

Doch natürlich ist nicht nur das selbsternannte „Länd“ vom 11.-13.4. auf dem jährlichen Branchentreffen in der Messe Bremen zu erleben. Auch in diesem Jahr ist das offizielle Showcase-Programm der jazzahead! neben den Vertretern des Partnerlands Niederlande in die Bereiche German Jazz Expo, European Showcases und Overseas Showcases unterteilt. 40 handverlesene Acts geben einen Überblick über neue Projekte und Tendenzen.

jazzahead.de

© Hans Kumpf

 

Sie schaffte es, in avantgardistischen Settings ebenso zu überzeugen wie als lyrische Interpretin von Standards: Jay Clayton war ab den 1960ern ein fester Bestandteil der Jazzwelt – als Sängerin, die neue Wege ging, früh mit Elektronik experimentierte, später mit Steve Reich und John Cage zusammenarbeitete und als Gesangslehrerin u.a. in Köln und Berlin ihre Erfahrungen weitergab. 1979 war sie künstlerische Leiterin des ersten Women in Jazz Festivals, 1982 mit Lauren Newton, Bobby McFerrin, Jeanne Lee und Urszula Dudziak Gründungsmitglied der Gruppe Vocal Summit, die neue Maßstäbe für Vokalensembles setzte. Nachdem sie noch im Juni 2023 ein neues Album im Duett mit Judy Niemack veröffentlicht hatte, ist Jay Clayton am letzten Tag des Jahres mit 82 Jahren gestorben.

Einmal quer und längs durch Europa geht es, wenn am 12.3. der 14. Europäische Burghauser Nachwuchs-Jazzpreis ausgespielt wird. Am Vorabend der Burghauser Jazzwoche treten mit der Tamás Jurisits Group (HU), Simone Locarni (I), dem Loek van den Berg Quintet (NL), dem Horntet (PL) und dem Bliss Quintet (NO) fünf Bewerber aus fünf Ländern gegeneinander um die drei Preise von 5.000, 3.000 bzw. 2.000 € an. Besonders attraktiv: Wer den 1. Preis gewinnt, darf neben dem Geldsegen am Folgetag als Vorband des Ron Carter Foursight Quartet das Festival eröffnen.

www.b-jazz.com

© Reinhard Winkler

Die an Freiburg angrenzende Schwarzwald-Gemeinde Merzhausen hat bereits eine Geschichte mit dem Münchner Label ECM. 2016 gab es dort ein ECM-Festival, jetzt folgt der zweite Streich. Organisiert vom Verein forum jazz treten vom 8.-11.5 in fünf Konzerten die ECM-Künstler*innen Nitai Hershkovits, Dominic Miller, Maciej Obara, Anja Lechner und Zsófia Boros mit ihren aktuellen Projekten in Merzhausen und Freiburg auf. Eröffnet wird das Festival mit dem 1996 in Japan gedrehten Konzertfilm des Keith Jarrett Trios.

www.forumjazz.de/ecm-festival-2024

© Hans Kumpf

Als der 1938 in Sheffield geborene Tony Oxley ab 1957 während des Militärdienstes seine Ausbildung als Schlagzeuger erhielt, hätte er wohl nicht erwartet, wohin ihn das führen sollte. Später begleitete er so unterschiedliche Musiker wie Ronnie Scott, in dessen Londoner Club er zeitweise als Hausdrummer arbeitete, Bill Evans, Derek Bailey, Evan Parker, John McLaughlin und Cecil Taylor. Er beherrschte nicht nur das konventionelle Schlagzeugspiel, sondern arbeitete akribisch an seinem individuellen Ausdruck. Mit innovativen Spieltechniken und einer Erweiterung seines Instrumentariums um Gebrauchsgegenstände, Metallschrott und Elektronik wurde er zu einer Schlüsselfigur des europäischen freien Jazz und ließ sich in den späten 1980ern in Viersen am Niederrhein nieder. Im Dezember 2023 starb Tony Oxley mit 85 Jahren.

Grund zur Freude haben Dariya Maminova und Tim Rumpelt. Die Komponistin und der Rapper und Songwriter wurden im Februar in Berlin mit dem Deutschen Musikautor*innenpreis in der Nachwuchskategorie ausgezeichnet. Beide erhalten als Unterstützung ihres Schaffens ein Preisgeld von jeweils 10.000 €.

musikautorinnenpreis.de

© Stephanie Diani

 

Das dauerte nicht lange: Gerade einmal zwei Wochen, nachdem Andreas Jacob, Rektor der Essener Folkwang Universität der Künste, bekanntgegeben hatte, mit der Musikerin und Performancekünstlerin Laurie Anderson „eine ideale Besetzung“ für die Pina-Bausch-Professur der Hochschule gefunden zu haben, ruderte die Hochschule zurück. Der Grund: Nachdem bekannt geworden war, dass Anderson 2021 den Aufruf „Letter Against Apartheid“ unterzeichnet hatte, in dem zum kulturellen Boykott Israels aufgerufen wurde, suchte die Hochschule das klärende Gespräch mit der Künstlerin. Daraufhin zog sich Laurie Anderson von der Gastprofessur zurück und ließ – durchaus diskutabel – verlauten: „Für mich stellt sich nicht die Frage, ob sich meine politischen Ansichten geändert haben. Die eigentliche Frage ist: Warum wird diese Frage überhaupt gestellt?“

Ein Auftritt beim Montreux Jazz Festival 1969 brachte ihm den Durchbruch: Les McCanns dort mitgeschnittenes Live-Album Swiss Movement und die ausgekoppelte Single „Compared to What“ mit Eddie Harris waren Verkaufserfolge, die seinen Weg zu einem der frühen Stars des Souljazz ebneten. Er arbeitete sowohl mit Soul-Legenden wie Roberta Flack und Wilson Pickett, aber auch mit Jazzgrößen wie Dizzy Gillespie und Stanley Turrentine zusammen und veröffentlichte in seinem Leben mehr als 50 Alben. Zu seinen späteren Bewunderern gehörten zahlreiche HipHop-Stars, die auf Samples aus seinen Songs zurückgriffen. Les McCann starb im Dezember 2023 mit 88 Jahren in Los Angeles an den Folgen einer Lungenentzündung.

Den „Meisterdompteur ungerader Fusion-Metren“ – so nennt die Jury der German Jazz Trophy den Schlagzeuger Billy Cobham und erkennt ihm nicht nur deshalb den Preis für 2024 und das damit verbundene Preisgeld von 15.000 € sowie eine Statue des Bildhauers Otto Herbert Hajek zu. Die Verleihung findet am 18.7. wie gewohnt zum Auftakt der Stuttgarter jazzopen statt. Der in Panama geborene Cobham gehörte dem ersten Mahavishnu Orchestra an und nahm nach seinem wegweisenden Fusionalbum Spectrum von 1973 gut 40 Platten unter eigenem Namen auf. Unbedingt erwähnenswerter Fun Fact aus der Pressemitteilung zum Preis: „Nebenbei unterrichtete er als Privatlehrer den Schlagzeuger Angelo Kelly von der Kelly Family, womit er dessen Interesse für Jazz wecken konnte.“ Mehr geht nicht.

www.jazzopen.com

Mit den letzten Landeswettbewerben in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein im März und der Möglichkeit, sich dabei für den Bundeswettbewerb zu qualifizieren, geht Jugend jazzt 2024 in seine heiße Phase. Die 20. Bundesbegegnung, in diesem Jahr in der Kategorie Combos, findet vom 9.-11.5. in Dortmund statt. Neben den Wertungsspielen treten im Fritz-Henßler-Haus, im domicil und der Dortmunder Musikschule auch das JugendJazzOrchester NRW und die WDR Big Band auf.

www.jugendjazzt.eu

Schon einen guten Schritt weiter in ihrer Karriere sind die 72 Nominierten für den Deutschen Jazzpreis, der am 18.4. im Kölner E-Werk verliehen wird. Eine nicht zu beneidende international besetzte Fachjury hat aus 1.150 (!) Einreichungen eine Vorauswahl getroffen, die nun in 22 Kategorien darum konkurriert, neben einer Trophäe auch ein Preisgeld von stolzen 12.000 € zu gewinnen. Die Liste der Nominierten, die einen Eindruck von der Qualität der deutschen Jazzszene gibt, findet sich unter:

www.deutscher-jazzpreis.de

© Hans Kumpf

 

Es gibt wenig, was Sigi Schwab in seiner langen Karriere nicht gespielt hätte. Nach Anfängen in Rock, Blues und Jazz, u.a. mit Wolfgang Dauner und Eberhard Weber, Peter Herbolzheimer und Klaus Doldinger, wendete er sich auch Barock und Weltmusik zu und schrieb für Film und Fernsehen. Im Duo Guitarissimo mit Peter Horton brachte er einem breiten Publikum akustische Gitarrenmusik näher. Durch seine enorme Vielseitigkeit war er auch als Studiomusiker äußerst gefragt und spielte nach eigenen Aussagen über 15.000 Musiknummern ein. Im Januar starb Sigi Schwab in München. Er wurde 83 Jahre alt.

© Jonathan Hielkema

 

Das Jazzfest Gronau bleibt auch mit der schon 36. Auflage seiner Linie treu und bringt vom 30.4.-5.5. Eingängiges zwischen Jazz, Funk und Pop auf die Bühne der Bürgerhalle. Nach Nils Wülker, der zur Eröffnung seinen krankheitsbedingt abgesagten Auftritt vom Vorjahr nachholt, lädt FatCat zum funkigen Tanz in den Mai ein. Götz Alsmann und die Zucchini Sistaz bestreiten den Mittwochabend mit deutschen Jazzschlagern, bevor Wolfgang Haffners Trio ein ACT-Familientreffen mit Ida Sand und Nils Landgren zelebriert (Donnerstag) und Gregor Meyle am Freitag mit seiner Band zeigt, wie er unplugged klarkommt.

jazzfest.de

© Tonny

 

Wenn das kein Einschnitt ist: Zum 1.2. hat im Jazzinstitut Darmstadt Wolfram Knauer seinen Schreibtisch geräumt, der das Institut als Gründungsdirektor seit 1990 geführt und u.a. als Organisator des Darmstädter Jazzforums zu einem Forschungszentrum mit internationalem Renommee ausgebaut hat. Wir wünschen alles Gute für den Ruhestand, der aber bestimmt nicht ruhig ausfallen wird. Die Nachfolge tritt zum 1.3. die Altphilologin und Musikwissenschaftlerin Bettina Bohle an.

wolframknauer.de

© Ben Gross

 

Auch bei der Deutschen Jazzunion wird der Staffelstab weitergereicht. Nach achtjähriger Amtszeit übergibt Geschäftsführer Urs Johnen ab dem 1. Mai die Verantwortung an die Kulturmanagerin Camille Buscot, die sich darauf freut, „die Deutsche Jazzunion mit ihren über 1.600 Mitgliedern mit frischen Ideen und Impulsen in eine neue Ära zu begleiten.“

www.deutsche-jazzunion.de

Und noch ein Führungswechsel: Die Internationale Vereinigung der Musikzentren (IAMIC) hat den Leiter des Deutschen Musikinformationszentrums (miz) Stephan Schulmeistrat einstimmig zu ihrem neuen Präsidenten gewählt. Zuvor war er bereits Vizepräsident gewesen.

Der Fusiongitarrist Dean Brown ist tot. Bekannt wurde er durch die Zusammenarbeit mit musikalischen Schwergewichten wie Joe Zawinul, Roberta Flack, Gil Evans, Marcus Miller und Billy Cobham. Ein Meilenstein war seine Beteiligung am Album Return of the Brecker Brothers. Insgesamt wirkte der gefragte Session- und Livemusiker auf über 100 Produktionen mit und veröffentlichte fünf Soloalben. Er erlag mit 68 Jahren einer Krebserkrankung.

© Philipp Fankhauser

 

Einen runden Geburtstag feiert das Jazzfest Hamm, das vom 12.-14.4. zum zehnten Mal stattfindet. Im Kurhaus Bad Hamm treten gefällige Namen aus Blues, Soul, Funk und Jazz auf, u.a. die ehemalige Prince-Bassistin Ida Nielsen, die Sängerin Tokunbo, der Schweizer Blues-Gitarrist Philipp Fankhauser und die singende Haartolle Götz Alsmann.

www.hamm.de/kultur/kulturangebot/festivals/internationales-jazzfestival

Die Kritik an den neuen Vergütungsregeln von Spotify reißt zu Recht nicht ab. Während der schwedische Streaming-Gigant den Mainstream noch größer macht und Nischen benachteiligt, versucht ein Startup aus dem Saarland, mit dem gegenteiligen Ansatz erfolgreich zu sein. Rokk richtet sich an Rock- und Metalfans und setzt sich für eine fairere Verteilung der Einnahmen ein. Vielleicht auch ein Modell für den Jazz? Die potenziellen Hörer gibt es doch, wie wir aus der eingangs erwähnten Statistik gelernt haben.

rokk-app.com

Noch ‘ne Statistik, und was für eine. Eine Studie hat untersucht, welche Automarken am häufigsten in Rap-Texten genannt werden. Mit über 16.000 Nennungen und großem Abstand machte Mercedes das Rennen, ist also sozusagen der Mercedes unter den Automarken. Auf den Plätzen: Lamborghini und Bentley. Unklar bleibt, wie wir bisher ohne dieses Wissen leben konnten.

Dann doch lieber Fahrradfahren, wenn auch, wie im niederländischen Middag-Humsterland mit einem weinenden Auge. Die beliebte ZomerJazzFietsTour führt auch 2024 (am 30./31.8.) mit dem Rad zu Impro-Konzerten in Kirchen und Scheunen. Leider wird die 38. Ausgabe die letzte sein, da es im ehrenamtlich arbeitenden Vorstand an Nachwuchs fehlt. Die Verrückten gehen uns leider aus“, stellt der Vorsitzende Niels Smit Duyzentkunst bedauernd fest.

www.zjft.nl