Internationales Jazzfestival – Shortcut

© Stefan Streitz

Münster

Von Stefan Pieper. Vergesst alle Vorurteile, die der Musik von John Cage anhaften, etwa dass diese abgehoben, akademisch, esoterisch und sonst was sei! Viele minimalistische Kompositionen des Amerikaners eröffnen Freiräume, in denen sich junge, fantasievoll improvisierende Musiker*innen von heute wohlfühlen. In dieser Hinsicht war die junge italienische Geigerin Anaïs Drago die Entdeckung schlechthin beim diesjährigen Shortcut, der kleinen Ausgabe des Internationalen Jazzfestivals Münster. In einer hellwachen Triobesetzung tauchte sie fantasievoll in die minimalistischen Texturen des Stückes ein – auf Augenhöhe mit dem Federico Calcagno (cl) und Max Trabucco (dr), der sich als extrem reaktionsschneller Broken-Beats-Artist erwies. Mit solchen Zelebrationen künstlerischer Aufbruchsstimmung punktet Münsters Jazzfestival regelmäßig zu Beginn des Jahres – und dieses italienische Trio setzte hier noch mal eins drauf.

© Stefan Streitz

Im vergangenen Jahr beging Münster den 375. Jahrestag des Westfälischen Friedens mit einer beeindruckenden Inszenierung und setzte hier – gerade angesichts der bedrohlichen Weltlage – ein überfälliges pazifistisches Signal. Für die Musik dazu zeichnete Fritz Schmücker verantwortlich, und der holte unter anderem den österreichischen Drehleier-Virtuosen Matthias Loibner nach Münster. Loibner arbeitet seit vielen Jahren mit dem Schweizer Schlagzeuger Lucas Niggli zusammen, der vor 21 Jahren sein Deutschland-Debüt im Münsterischen Theater gab. Michel Godard, der legendäre Tuba- und Serpent-Spieler, sowie die griechische Musikerin Sofia Labropoulou am Kanun, das ähnlich wie die vorderasiatische Santur klingt, bereicherten im Theater die Besetzung. Das Ganze versetzte die Bühne zwar nicht in eine solche Hochspannung wie der Opening Act, punktete aber umso mehr mit erhabener Atmosphäre, genährt von mittelalterlichen Melodien und später einem Schubert-Zitat. Genug Stoff zum Abtauchen und Wegträumen in leuchtenden Klangbildern war dies allemal.

© Stefan Streitz

Das Besondere an den kleinen Shortcut-Festivals mit drei Konzerten an einem Abend ist die kompakte Dramaturgie aus nicht zu vielen musikalischen Eindrücken. Das dritte Konzert des Abends mit der Pianistin Zoe Rahman und ihrem Oktett Colour of Sound gab dem Jazz in aufrichtiger und Art und Weise eine Stimme, und das mit riesigem Spaßfaktor. Rahman komponiert lyrisch mitreißende Stücke und soliert temperamentvoll auf dem Flügel. Das setzte genug motivierende Signale, um die hervorragenden Solist*innen auf Anhieb auf Wolke sieben zu katapultieren. Mit solch optimistischen Klängen darf man ein neues Jahr ruhig einmal hoffnungsvoll beginnen lassen.

Dass der Lauf der Zeit doch relativ ist, konnte einem in den Sinn kommen beim Betrachten jenes riesigen Foucaultschen Pendels, welches der Künstler Gerhard Richter der Stadt geschenkt hat und welches majestätisch von der Kuppel der Dominikanerkirche unablässig langsam pendelt. Am Sonntagmorgen versammelte sich dort das Festivalpublikum. Michel Godard griff noch einmal zum Serpent und improvisierte lyrisch zu dieser „ewigen“ Inszenierung und selbst erzeugten E-Bass-Loops. Das Jazzfestival in Münster tat gut daran, mit einem solchen Programmpunkt diesen Ort mit seinem Bezug zur reichen Stadtgeschichte und kulturellen Gegenwart der Stadt zu bespielen.