16. Jazzforum: Jazz und Politik

Darmstadt

© Wilfried Heckmann

Von Hans-Jürgen Linke. Jazz ist stets politisch? Ein Mythos, finden einige. Anmaßend, finden andere. Aber ich hätte nie zum Jazz gefunden, wenn er nicht zu meiner politischen Haltung gepasst hätte, sagen Dritte, also muss da etwas Politisches gewesen sein. Recht haben sie alle – auf unterschiedliche Weise, wie sich auf dem Symposium des Darmstädter Jazzinstituts zeigte. Das soll aber keine Kontroverse verdecken.

Klar: Musik, Töne als physikalisches Ereignis haben keinerlei politische Qualität. Und soll wirklich die Improvisation, also die hierarchiefreie und weitgehend spontane Kooperation mehrerer Musiker auf der Bühne bei einem gemeinsamen Set Handlungsmodelle liefern, wie man komplexe politische Probleme lösen kann? Wäre ziemlich viel verlangt von den Musikern. Aber da war auch Carlos Pueblas Lied „Hasta siempre“ (1965), das sich zu einem inoffiziellen Requiem für Ernesto „Che“ Guevara entwickelte, woran das Liberation Orchestra oder Jan Garbarek und auch Wolf Biermann intensiv beteiligt waren. Ob Jazz also politische Eigenschaften hat oder nicht, entscheiden erstens die Musiker und zweitens das Ohr, das Wissen und die Assoziationen der Hörer.

Wie Jazzmusiker das machen, außer durch spezielle Klangfärbungen, Repertoire-Auswahl, Titelgebungen, Widmungen, Zuschreibungen, Kontextbildungen, Ansagen? Etwa durch das Erzählen einer Geschichte, was ja ein populärer Topos ist, wenn es um die Gestaltung musikalischer Abläufe im Jazz geht? Schwierig. Geschichtsbewussten Deutschen ist klar, dass Jazz emanzipatorischen Charakter hat, sonst hätten ihn die Nazis nicht so rüde behandelt. Andererseits ist Musik überaus unsicheres Gelände, wenn man über ihre politischen Qualitäten nachdenkt, und für einen halbwegs satisfaktionsfähigen Politik-Begriff ist die semantische Präzision verbaler Strategien und begrifflicher Arbeit unerlässlich. Das kann Jazz nicht liefern. Eine politische Codierung und Decodierung von Musik erfolgt über Bedeutungsträger, die darauf angewiesen sind, dass sie vom geneigten Publikum nachvollzogen werden können. Eine zweite Möglichkeit liegt in der Verbindung von Musik mit Texten. Ein dritter Weg wäre die Herstellung von Haltungen und emotionalen Zuständen, was aber für deren politischen Bedeutungsgehalt wenig Klarheit bedeutet. Gerade der Parameter der Energie, der für die Charakterisierung emotionaler Qualitäten von Jazz und Rock regelmäßig verwendet wird, ist politisch beängstigend neutral. Dass zum Beispiel in rechtspopulistischen Aktionen zum Einstimmen Musik mit afrodiasporischer Rhythmik verwendet wird, ist denen, die das tun, in der Regel gar nicht bewusst. Das spricht am ehesten für eine politische Indifferenz musikalischer Parameter und historische Unkenntnis derer, die sie verwenden. Ignoranz gegenüber Musik aber ist ubiquitär und weder auszurotten noch zu verbieten. Schade eigentlich.

Der Kongress bewies seinen Weitblick vor allem durch das Auffinden vieler Fragen und Kontexte sowie mancher Gründe für Zweifel an gängigen Thesen – wie etwa einem prinzipiellen und politisch markierbaren Unterschied zwischen komponierter Musik und improvisiertem Jazz. Er richtete Hoffnungen auf Interaktionsforschung und eine hierarchiefreie, auf respektvollem Zuhören basierenden Kooperation. Die prägnantesten Narrative über politische Qualitäten des Jazz aber kamen von Musikern auf dem Symposium. Hasta la victoria siempre!