Jaak Sooäär

Über das Licht in der Musik

Jaak Sooäär © Kaupo Kikkas

Man müsste den Titel ohnehin übersetzen. Schließlich gibt es nicht sehr viele Menschen, die Estnisch verstehen, Englisch ist als Verständigungssprache auf diesem Planeten einfach weiter verbreitet. Darum hat der estnische Gitarrist Jaak Sooäär sein neues Album, das er mit einem Trio eingespielt hat, gleich A Shooting Star genannt und nicht Sabaga täht. Beides heißt auf Deutsch so viel wie „Sternschnuppe“.

Von Hans-Jürgen Linke

Musik ist in Estland eine ungemein wichtige Kunstform – und zwar Musik im Allgemeinen, nicht nur ein bestimmtes Genre. Immerhin spricht man im Baltikum nach wie vor von der „singenden Revolution“, wenn es um die nationale Bewegung für eine staatliche Unabhängigkeit zwischen 1987 und 1991 geht. Das estnische Musikleben ist vielgestaltig, lebendig und ambitioniert, und es gibt seriöse Musikerinnen und Musiker, die im Land bekannter sind als bei uns Helene Fischer.

Trotz aller Begeisterung ist der Musik-Markt des 1,3 Millionen Einwohner zählenden Landes zu klein, um seine Künstler zu ernähren. Darum haben Esten es schon immer selbstverständlich gefunden, möglichst auch international unterwegs zu sein. Das gilt nicht nur für die Vertreter der bei uns sogenannten E-Musik, das gilt auch im Jazz-Fach. Wobei der Jazz in Estland nicht so streng von anderen Musikstilen unterschieden ist wie in Zentraleuropa. Jazz, Pop, Folk und E-Musik grenzen sich nicht harsch gegeneinander ab, stattdessen herrscht ein Geist der Neugier und Kooperation. Das gilt auch für Jaak Sooäär. „Musikalische Genres interessieren mich wenig“, sagt er. „Mich interessieren ganz verschiedene Stile – von Bach bis zum Punk. Heute entsteht die interessanteste Musik meistens zwischen den Stilgrenzen.“

Jaak Sooäär ist Gitarrist und einer der bekanntesten Jazzmusiker in Estland. Er wurde 1972 in Tallinn geboren, da war Estland noch eine sozialistische Sowjetrepublik. Seine ersten professionellen Erfahrungen in der Musik-Branche waren Konzertreisen in der UdSSR mit dem Estnischen Knabenchor, in dem er mit sieben Jahren Mitglied wurde. Später studierte er an der Universität in Tartu und an den Musikhochschulen in Tallinn und Kopenhagen und begann 1989, in der Jazz- und Pop-Szene in seinem Heimatland zu arbeiten. Die Liste der international prominenten Jazzmusiker, mit denen er zusammengearbeitet hat, ist mittlerweile stattlich, und er hat mit verschiedenen Bands über 20 Alben eingespielt. In der Jazz-Abteilung der Estnischen Musik- und Theaterakademie (Eesti Muusika- ja Teatriakadeemia) in Tallinn unterrichtet er seit 2001 Jazz-Gitarre, und seit 2004 ist er Leiter dieser Abteilung.

Seinen von Genre-Beschränkungen unverstellten Blick auf die Musiklandschaft hat er Anfang des Jahres mit dem Album Bach bewiesen, das er mit dem Pianisten Ivo Sillamaa eingespielt hat. Es ist bei dem kleinen estnischen Label AVA Muusika erschienen und enthält ausschließlich Musik von Johann Sebastian Bach – neu instrumentiert und damit in Versionen, mit denen Anhänger der Originalklang-Szene möglicherweise nicht ganz zufrieden wären. Jetzt kam das eingangs erwähnte Album A Shooting Star heraus, eingespielt von einem Trio. Das Album enthält ebenfalls Bach-Bearbeitungen – die Choralkantate „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“ (BWV 639) und den Siciliano-Satz aus der Violinsonate in c-Moll (BWV 1017) – neben Musik des armenischen Kontrabassisten Ara Yaralyan und Stücken von Jaak Sooäär selbst. Stilgrenzen spielen hier, wie man leicht erkennt, kaum eine Rolle.

Anders als das oft bei ähnlich besetzten Trios – E-Gitarre, Bass, Schlagzeug – der Fall ist, geht es auf diesem Album sehr verhalten zu, intim und manchmal melancholisch. Der finnische Schlagzeuger Markku Ounaskari arbeitet überaus filigran und klangreich, Ara Yaralyan am Bass nimmt oft den Bogen zur Hand und verzichtet meist auf die klassischen rhythmisch treibenden Grundierungen.

Das Titelstück ist ein Lied von Jaak Sooäär, das, wie er erzählt, auf ein Erlebnis auf der Insel Vormsi reagiert, wo in einer Septembernacht ein Meteor den Himmel sehr plötzlich und weiträumig erhellte. Der Song „Sabaga Täht“, den er über dieses Erlebnis einige Zeit später schrieb, wurde vor anderthalb Jahrzehnten in der Interpretation seiner Band Eeste Keeled (Estnische Saiten) recht bekannt. Auf dem neuen Album gibt es eine rein instrumentale Trio-Fassung dieses Liedes, die, wie Jaak Sooäär findet, auch ohne den Text und ohne eine Singstimme ziemlich gut funktioniert. Der Text ist im Booklet auf Estnisch und in einer englischen Übertragung abgedruckt. Er erinnert in seiner konzentrierten und zurückhaltenden Beschreibung eines lichtvollen Augenblicks an ein japanisches Haiku.

Licht spielt in dem Album auch in einem anderen Stück und in einer anderen Erscheinungsform eine große Rolle – nicht als plötzliche Erleuchtung einer nächtlichen Situation, sondern als etwas fast Abwesendes, als eine Art schimmernde Erinnerung aus der Ferne: „Kaamos“ heißt das vorletzte Stück des Albums. Es ist ebenfalls eine Komposition von Jaak Sooäär. Kaamos, das bezeichnet im Finnischen die Zeit um die Wintersonnenwende, wenn die Sonne nicht aufgeht und wo es für einige Stunden über Mittag auf eine diffuse Weise vom Süden her ein wenig hell wird.

Aktuelle CD:

Jaak Sooäär, Ara Yaralyan, Markku Ounaskari: A Shooting Star (O-Tone / Edel:Kultur)