30 Jahre ACT Records

Philharmonie, Berlin

© David J. Hotz

Von Victoriah Szirmai. 30 Jahre ACT – ein Label feiert sich selbst. Nach der Begrüßung durch Labelgründer Siggi Loch zum zweitägigen Jubiläumsfest in der Berliner Philharmonie öffnet sich die Bühne im Großen Saal für Pianist Michael Wollny, den ersten Künstler der vor zwanzig Jahren ins Leben gerufenen ACT-Reihe Young German Jazz. Mit seinem mit Tim Lefebvre (b) und Eric Schaefer (dr) besetzten Trio spielt er vor allem die Haunting-Songs seiner jüngsten Veröffentlichung Ghosts. Spätestens wenn die drei die Elektronik auspacken, kommt eine Ahnung vom Nachtmahrpotenzial dieser geisterhauchdurchwehten Klänge auf, die sich zu Nocturnes verdichten, die wiegen und schleichen und schmeicheln.

In seinen epischen Momenten erinnert der Triosound an Shalosh oder das Avishai Cohen Trio, soll aber noch darüber hinausgehen, was Virtuosität und Volumen anbelangt. Virtuosentum zeichnet auch die Gäste aus, die sich in Gestalt von Hochenergie-Sopransaxofonist Émile Parisien, Highspeed-Akkordeonist Vincent Peirani und Vokalakrobat Andreas Schaerer dazugesellen, wobei letztgenannter mal zwischen Schnalzen, Beatboxen und Jodeln changiert, mal in eine Art Werwolfsgeheul verfällt, dann wieder als lyrischer Real-Book-Crooner überrascht. Zum Sextett vereint, bringen die Musiker echten atmenden, eben lebendigen Clubjazz in die altehrwürdigen Hallen, was aus akustischer Sicht sensationell ist. Die ins Dreistellige gehenden Preise der Spielstätte kann sich das vielbeschworene junge Jazzpublikum dagegen nicht im Traum leisten: Grau in grau, wohin man schaut.

Der eigentliche Gala-Abend steht dann im Zeichen der rührseligen Revue, durch die ACT-Urgestein Nils Landgren mit rotglänzender Posaune und passenden Sneakers jovial führt. Unter dem Motto 3 Generations vereint sich auf der Bühne, was bei ACT Rang und Namen hat, inklusive des 21-jährigen Saxofonisten Jacob Manz, dem jüngsten Signing der Young-German-Jazz-Reihe. Gleich einer atemlosen Nummern-Revue erleben wir einen Höllenritt durch die Labelgeschichte, der mit Stücken wie der zehnminütigen Canned-Heat-Umdichtung „Let’s Act Together“ die Kitschtoleranz so manches Mal gehörig strapaziert.

Wer das, eine eher alberne Reise nach Jerusalem mit drei Pianisten, aber nur zwei Klavieren, sowie das CEO-Sprech von Managing Partner Andreas Brandis in Kauf nimmt, kann aber auch an diesem Tag magische Momente entdecken – etwa David Helbocks „Komm lieber Mai und mache“ oder eine Saxofonfront mit Jakob Manz am Alt und Magnus Lindgren am Tenor. Highlight: Die Prince-Reverenz „Sign O’ the Times“ von dem immer grandiosen Andreas Schaerer und Gitarrist Kalle Kalima.

Inmitten all des klanggewordenen Glitzers, personifiziert durch die gospelnde Stimmgewalt Ida Sands und Viktoria Tolstoys, geht das (zumindest die frühere Labelgeschichte immer wieder entschieden mitbestimmende) Fragile unter, das – bis auf die Momente, in denen der Geist des tragisch verunglückten Esbjörn Svensson über dem Saal schwebte – am zweiten Abend keine Chance hatte.