Nils Wülker & Arne Jansen

Tiefe in der Einfachheit

© Thomas von Aagh

Raum lassen und Raum füllen: Diese scheinbaren Gegensätze sind für viele Bandbesetzungen essenziell, doch für keine wichtiger als für das Duo. So zumindest sieht es Nils Wülker, der besagte Prinzipien auf seinem neuen Album Closer mit Klang zu füllen versucht hat.

Von Thomas Kölsch

Gemeinsam mit seinem guten Freund und langjährigen Gitarristen Arne Jansen hat der Trompeter zehn Stücke in ganz reduzierter Form aufgenommen, um einen Gegenpol zu dem Orchesterprojekt Continuum zu schaffen und die eigenen Grenzen auszuloten, um zu experimentieren und Musik neu zu denken. Aus weniger könnte immerhin mehr werden. Und tatsächlich hat der 45-Jährige viel dazugewonnen. Ebenso wie seine Fans.

Die Verbindung von Wülker und Jansen ist tief. Seit über 20 Jahren kennen sie sich, seit einer kurzen Phase ab Herbst 1999, in denen beide im Bundesjazzorchester spielten. Jansen war da schon fast wieder auf dem Absprung, Wülker gerade erst frisch dazugestoßen. „2009 habe ich Arne dann in meine Band geholt, nachdem ich zuvor lediglich mit Gastmusikern wie Wolfgang Muthspiel gearbeitet hatte“, erinnert sich Wülker. „Ich wusste, dass er ein toller Musiker war und dass die Chemie zwischen uns stimmen würde. Seitdem hat er auf jedem meiner Alben mitgewirkt, mit Ausnahme von Continuum.“

Dennoch hat es immerhin fast 15 Jahre gedauert, bis die beiden ihre erste gemeinsame Platte aufnahmen. Immer war irgendein anderes Projekt im Weg. Bis zum Corona-Lockdown, den Wülker ebenso kreativ wie produktiv nutzte und drei Alben in zweieinhalb Jahren produzierte – darunter auch Closer, das im Februar erscheinen wird. „Wir hatten schon 2019 eine Duo-Tour unter diesem Namen, die uns unglaublich viel Spaß gemacht hat“, erklärt Wülker. „Unser Ziel war es, uns sowohl zu reduzieren als auch alle Möglichkeiten unserer Instrumente zu testen. Wir haben also mit Loops gearbeitet und mit Delays, aber gleichzeitig die Musik entschlackt. Jetzt wollten wir diese Erfahrungen mit neuen Stücken im Studio umsetzen.“

Bei der Wahl des Repertoires war es Nils Wülker wichtig, nicht nur wie bei den Band-Alben die eigenen Stücke in den Mittelpunkt zu stellen, sondern auch Kompositionen von Arne Jansen aufzunehmen – und drei Cover-Versionen von Stücken, die in ihrer Schlichtheit den Kern des Konzepts verdeutlichen. „Uns haben Songs interessiert, die eine Tiefe in ihrer Einfachheit haben“, sagt Wülker. Allerdings ist schon der Opener in gewissem Sinne ein Wagnis: Die Nine-Inch-Nails-Ballade „Hurt“, die niemand geringerer als Johnny Cash adaptierte und mit unvergleichlicher Intensität veredelte, ist harmonisch extrem überschaubar und verlangt doch gerade deshalb nach einer gefühlvollen, ehrlichen, persönlichen Interpretation. „Ich glaube, näher kann einem ein Lied nicht gehen“, gesteht Wülker denn auch – und wagt sich trotzdem dran. Die Trompete liefert die nackte Melodie, während eine Schichtung aus wabernden, verzerrten Gitarrenakkorden ein rudimentäres Fundament erschafft, das zumindest vom Ansatz her eher in Richtung des Originals geht als in die der legendären Version des „Man in Black“.

Wie bei allen Stilen, Genres und Spielarten, denen sich Nils Wülker im Verlauf seiner Karriere angenähert hat, macht er sich auch den hier gepflegten Minimalismus zu eigen und setzt ihn mit seinen Mitteln geschickt um. Bei „Ya Ya Ya“ (im Original von dem australischen Musiker Ry X) gelingt dies hervorragend, bei Eigenkompositionen wie dem verträumten „Beyond the Bavarian Sky“ noch einmal besser. „Das Stück ist eine Hommage an ,Beyond the Missouri Sky‘ von Pat Metheny und Charlie Haden, meiner Meinung nach eines der schönsten Duo-Alben der Jazz-Geschichte“, so Wülker. Hört man.

Eine andere Nummer ist Wülkers Tochter gewidmet („Nika’s Dream“) und findet sich auch – in einer weitaus fülligeren Fassung – auf Continuum, während Arne Jansen sich in den von ihm beigesteuerten Kompositionen eher an Ziegenböcken („The Great He-Goat“) und Sternzählern („He Who Counts the Stars“) orientiert. Mit „It Won’t Be Long“ ist zudem ein gemeinsames Werk des Duos vorhanden. „Auch das war für uns eine Premiere“, erzählt Wülker. „Arne liebt es, mit verschiedenen Stimmungen zu experimentieren, und eines Tages kam er mit einer solchen an und spielte mir eine ungewöhnliche Harmoniefolge vor. Als ich das hörte, hatte ich sofort eine Melodie im Kopf. So haben wir das Stück dann nach und nach entwickelt.“

Für 2023 steht nun zunächst einmal eine dreifache Tour an. „Im Februar sind Arne und ich als Duo unterwegs, im Anschluss spiele ich das Orchesterprogramm, und danach stehen Konzerte in Bandbesetzung an“, erzählt Wülker. „Für mich ist das total spannend, weil ich diese Vielfalt liebe. Gleichzeitig hoffe ich, dass ich die drei Programme tatsächlich über mehrere Jahre spielen kann, gerade weil sie so unterschiedlich sind.“ Hauptsache, es füllt Räume. Aber dafür hat Nils Wülker ja ohnehin ein Händchen.

Aktuelles Album:

Nils Wülker & Arne Jansen: Closer (Warner Music; VÖ: 3.2.)