In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Aki Takase / Daniel Erdmann

Isn’t it Romantic?

BMC / Galileo

5 Sterne

Wie ist das schön, wenn Musiker mit großer Freiheit und unter Nutzung der gesamten Jazzgeschichte darangehen können, so zu musizieren, dass in diesen trüben Zeiten einfach Freude aufkommt. Aki Takase und Daniel Erdmann kennen sich gut von früher und besser durch ihre jüngste Zusammenarbeit im Quintett Japanic. Und sie kommen auch im Duo offenbar so fantastisch miteinander aus, um auf Augenhöhe musikalische Perlen zu produzieren. Hier sind einige davon – unglaublich energetisch: „Elevation“. Ungeheuer swingend: „No Particular Night or Morning“. Saumäßig frei fließend: „Magic“. Und humorvoller als bei „An jeder Kreuzung liegt eine Erinnerung begraben“ und „The Cat“ geht’s kaum im freieren Jazz. Und noch ein Highlight in Sachen Spielwitz: „Reconstruction in Berlin“. Und mit großer Lust an der schönen Melodie sowie auch an ihrer Dekonstruktion: „Pascale“. Die Zusammenarbeit der beiden funktioniert trotz räumlicher Distanz (Berlin-Reims) so gut, dass ihre Proben allen technischen Problemen zum Trotz per unseligem Zoom stattfinden konnten, bevor sie dann zu leibhaftigen Aufnahmen in Budapest und zum Stream-Konzert im Berliner A-Trane anreisen konnten. Musikalisch hat Isn’t it Romantic? solch eine Frische, dass man nach dem Hören schnippend und gut gelaunt als auch hochkonzentriert und inspiriert (wie wohl auch die beiden Musiker*innen) in den Tag gehen kann.

Jan Kobrzinowski

Martin Tingvall

When Light Returns

Skip / Soulfood

5 Sterne

Martin Tingvall von seiner schönsten Seite – und schon glaubt man durch ihn an eine Rückkehr des Lichts. Das neue, vierte Solo-Album des schwedischen Pianisten, der sich mühelos zwischen Filmmusik, Klassik und Jazz bewegt, ist geprägt von der Corona-Pandemie, die seit über einem Jahr die Welt in Atem hält, und ist zugleich ein ausgesprochen schönes Produkt dieses erzwungenen Stillstands. Tingvall schrieb die Musik hierzu binnen kürzester Zeit, als er in seinem Haus in Südschweden quasi gestrandet war, und nahm sie in ähnlich kurzer Zeit auf. Sie ist geprägt von einer wohltuenden Schlichtheit und Ruhe, die Tingvall laut eigener Aussage im März 2020 in der Natur gefunden hat. Und so klingt sie – nach Entschleunigung pur. Zugleich hat Tingvall die erwachende Natur in diesen ungewöhnlichen Zeiten als Hoffnungsschimmer gesehen, dass es irgendwann auch wieder ein Licht am Ende des Tunnels geben würden, was man „When Light Returns“ auch anhören kann. Die dreizehn Tracks des Albums sind vorwiegend ruhig gehalten und voller Lyrik, für die Tingvall so bekannt ist. Genregrenzen lässt er verschwimmen, so klingt seine Musik mal volksliedhaft wie die „Fireflies“, das zunehmend swingt, und dann wiederum erinnert beispielsweise „Dancing Trees“ an die Klavierwerke Erik Saties. Verspielt hingegen wirken „Hide and Seek“ oder auch „Little Star“. Mit seinem neuen Album, das in einer ganz besonderen Zeit entstanden ist, gelingt es Tingvall erneut, dem Hörer ein wenig Seelenruhe zu bescheren – und das Licht am Ende des Tunnels etwas näherrücken zu lassen.

Verena Düren

Rembrandt Frerichs Trio

Graffiti Jazz

Zennez / Nova

5 Sterne

Früher war Rembrandt Frerichs (44) ein begeisterter Sprayer (daher der Albumtitel Graffiti Jazz), heute lehrt er am Konservatorium und kuratiert Konzerte (sofern sie denn stattfinden dürfen). Mit Tony Overwater (b) und Vinsent Planjer (dr) leitet der Niederländer ein seit Jahren gefeiertes Trio. Das neue Album der drei soll die freche Euphorie der Graffiti-Streetart direkt in Jazz übersetzen: Ungebändigte Motorik ist Trumpf. Die musikalische Inspiration für diese klirrenden, maschinenhaften, verzinkten Rhythmen könnte im Speed-Metal liegen, aber auch in bulgarischen Hochzeitstänzen, bei ratternden Uhrwerken oder vielleicht sogar bei einem neu und anders gehörten Johann Sebastian Bach. Was Drummer Planjer hier anstellt, mit Becken, Rasseln, Glöckchen und anderen Metallteilen, erinnert an eine scheppernde, übergeschnappte mechanische Apparatur. Genialerweise verbindet sich diese verrückte Motorik aber mit großer Improvisation, sogar mit Swing („The Big Over Easy“) oder einem Paul-Simon-Song – „50 Ways to Leave Your Lover“ hatte noch nie so viel Funk. Zum Durchschnaufen gibt’s zwei Balladen, eine davon mit dem schönsten aller Brahms-Themen.

Hans-Jürgen Schaal