Theo Croker

Ein Manifest

Theo Croker © Obidi Nzeribe

Der Enkel des legendären Trompeters Doc Cheatham und ehemalige Protegé der Sängerin Dee Dee Bridgewater ist die Verkörperung des Jazz-Modernisten, der sich auf seinem neuen Album BLK2LIFE // A Future Past anhand verschiedener Genres und modernster Technologie mit dem Schwarzsein in den USA auseinandersetzt.

Von Olaf Maikopf

Während der Pandemie zog sich Theo Croker in das Haus seiner Eltern zurück, um sich Gedanken über neue Musik zu machen, die auch eine Reflexion unserer aller momentanen Lebenssituation sein sollte. Herausgekommen, nach Monaten in denen er seine Überlegungen konkretisierte und dann in Musik umsetzte, ist Theo Crokers sechstes Album BLK2LIFE // A Future Past.

Mit der ursprünglichen Idee hat es nur noch indirekt zu tun. Vielmehr fokussiert sich der Trompeter in seiner kraftvollen wie provokativen Musik auf so etwas wie ein zeitgenössisches Oratorium über Traditionen, Gegenwart und Erkundungen der Zukunft, stets mit einem Blick auf sein afrikanisches Erbe, seine Herkunft. „Eine zukünftige Vergangenheit ist, sich seiner Gegenwart bewusst zu werden, indem man ein tiefes Verständnis für seine Vergangenheit hat. So verändert man im Wesentlichen seine Zukunft, man übernimmt die Kontrolle über sie, so dass wir, indem wir zurückblicken, verstehen, wo wir stehen und wie wir uns wirklich vorwärtsbewegen können. Wir erliegen nicht unserer Vergangenheit. Wir nutzen sie, um uns in der Gegenwart zu ermächtigen und unsere Zukunft in das zu verändern, was wir manifestieren wollen“, beschreibt Theo Croker die Philosophie seines Albums, das von Szene zu Szene beinah wie ein Film abläuft.

Da der 36-Jährige gern zeichnet, erstellte er sein Albumkonzept zuvor als eine Art Storyboard. Zum einen, weil es seine Kreativität befördert, dann aber auch, um mit den Bildern der Musik eine konkretere Ebene zu geben. Doch bevor es so weit war, verbrachte Theo Croker die ersten sieben, acht Wochen damit, nicht Trompete zu spielen oder überhaupt Musik zu machen, sondern konzentrierte sich nur auf sich selbst als Mensch und nutzte dies, um sich den dunkleren Teilen seiner Existenz zu stellen, einem Wesenszug, der wohl in allen Menschen schlummert. Das gelang ihm, auch weil er in der Lage war, das Telefon und den Computer und all diese ablenkenden Dinge auszuschalten. „Als ich an einen Punkt kam, an dem ich mich stark fühlte, war ich super inspiriert, ein neues Album zu machen. Ich war im Haus meiner Familie in Florida, in der Natur, wo sehr viel Wald ist. Draußen in der Natur zu sein, hilft mir, meine Kreativität zu fördern. Meine nackten Füße in die Erde zu stecken und ein Sonnenbad zu nehmen. Ich habe viel Zeit damit verbracht, psychedelische Pilze zu sammeln als eine Form der Meditation und der Therapie. Aber nicht um high zu sein, sondern um mit meinen Vorfahren zu kommunizieren. Und sie haben mir geholfen, den Weg zu dieser Musik zu finden. Und so bin ich, nachdem ich alles geschrieben hatte, mit meiner Band ins Studio gegangen, und innerhalb weniger Tage haben wir alles aufgenommen.“

Anschließend lud er einige Gastkünstler ein, darunter Saxofonist Gary Bartz, zu dem der Trompeter schon lange eine persönliche Verbindung hat und dessen eigene Aspekte Croker in seine Musik integrieren wollte. „Auch wollte ich, dass es Gesang gibt, der hilft, die Geschichte zu erzählen, die ich, der Trompeter und Komponist, während des gesamten Albums, während des ganzen Films antreibe. Es sind also meine spirituellen Helfer, die dazukommen, um mit mir meine Botschaft zu vermitteln. Aber der rote Faden sind stets meine Kompositionen und die Trompete. Das ist im Grunde mein Prozess“, erklärt Theo Croker die Entstehung von BLK2LIFE // A Future Past.

Es mag so erscheinen, als wäre der in Los Angeles lebende Trompeter ein überwiegend spiritueller Mensch, doch tatsächlich ist Croker wohl noch mehr ein politisch denkender Zeitgenosse. So schreckt er nicht vor gesellschaftspolitischen Äußerungen zurück, schrieb schon vor Jahren den Song „We Can’t Breathe“, der sich auf den Erstickungstod des 2014 von Polizisten getöteten Eric Garner bezog. Damit steht er in einer Reihe mit kritischen Jazzmusikern der späten Sechziger. „Ich habe mein eigenes multikulturelles Sein innerhalb meiner Identität als Schwarzer angenommen, was allerdings fast 30 Jahre gedauert hat.“ Nun fließt dieses gewonnene Bewusstsein umso mehr in seine Interpretation afroamerikanischer Musik ein. „Aber ich bin nicht so sehr daran interessiert, öffentlich politisch zu sein. Darum nur dies: Die USA waren schon immer unfriedlich. Das ist nichts Neues. Es ist gut, dass die ganze Welt es nun auch im Fernsehen sehen kann. Aber das ist schon seit Hunderten von Jahren so. Wird die Gesellschaft gespalten bleiben? Wissen Sie, das liegt wirklich an der Gesellschaft. Trump wurde zum Sprachrohr der Menschen, die schon immer so fühlten, wie er fühlt. Ich habe nicht den Eindruck, dass der neue Präsident einen großen Einfluss haben wird. Wir haben gesehen, wie viel Einfluss Obama hatte. Also lasst uns sehen, ob dieser alte weiße Mann es besser schafft, das Land zusammenzubringen. Ich unterstütze Veränderung, Positivität und Gleichheit, aber das System ist kaputt, und es muss nun von uns Menschen überholt werden.“

Aktuelles Album:

Theo Croker: BLK2LIFE // A Future Past (Sony Music Masterworks)