HÖRBUCHT

DIE WUCHT DER BRUMMEWumms hin, Doppelwumms her. Solange der irre Iwan auf Bumm Doppelbumm folgen lässt, fühlen sich die 20er an wie die 20er. Damals die Jahre zwischen zwei Weltkriegen, heute die Jahre, in denen die Kinder mit Masken und Krieg aufwachsen und der hässlichen Fratze von Putin, mit unwirtlichen Worten wie Pandemie, Panzerhaubitze 2000, Rettungsschirm, Gaspreisbremse, Inzidenz und Invasion, Impfkampagne und B.4, B.5 – Treffer, versenkt. Panzerkreuzer Potemkin darf ruhig sinken. Jagd auf Goldener Oktober. Der Hunger nach Leben und Liebe ist besonders groß in der Krise, damals wie heute. Die Ausschweifungen der 1920er Jahre in einem Berlin, das Weltstadt vorlebte, elektrifiziert, aufregend, modern, tanzwütig, vergnügungssüchtig. Inflation hin, Schulden her. Alles muss raus. Geld. Mieter. Arbeiter. Eigenbedarf. Alles Eigenbedarf! Quadratmeter, Strom, Gas, Wasser. Sündenpfuhl. Angebot und Nachfrage. Blühender Kapitalismus, welke Landschaften. Unbeheizt. Blackout. Schlusspunkt? Noch lange nicht. In der Hörbucht…

Björn Simon

Judith Holofernes

Die Träume anderer Leute

Lübbe Audio

4 Sterne

Judith Holofernes war mit der Band Wir sind Helden unglaublich erfolgreich, schon ihr erstes Album Die Reklamation gehörte zu den erfolgreichsten CDs des Jahres 2003. Danach erreichten ihre Alben regelmäßig die Spitze der deutschen Charts. 2012 zog sich die Band, für viele überraschend, aus der Öffentlichkeit zurück und kündigte eine unbestimmte Pause an. Auf dem Höhepunkt des Erfolges das Musikgeschäft quasi zu verlassen, ist ein Akt, der nur selten vorkommt, und verdient auf jeden Fall Respekt. Wie sehr Judith Holofernes, die danach zwei Solo-Alben und einen Gedichtband veröffentlicht hat, unter dem Druck der Bandkarriere gelitten hat, macht sie nun in Die Träume anderer Leute deutlich.

Ich hatte aufgehört mit den Helden, weil ich aus der Tiefe meines Seins nicht mehr wollte, weil ich ausgebrannt war, unglücklich, krank und kaputt“, gesteht Holofernes gleich zu Beginn und schildert im weiteren Verlauf des Hörbuchs nicht nur die Zwänge des Musikbusiness – das Karussell aus Tour/Album/Tour dürfte nicht nur Wir sind Helden in Mitleidenschaft gezogen haben –, sondern auch die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, wenn man gleichzeitig für seine Familie da sein will (Holofernes hat zwei Kinder mit dem Helden-Schlagzeuger Pola Roy). „Was ich gebraucht hätte nach dem Abschied von meiner Band wäre ein radikaler Schnitt gewesen“, meint Holofernes, bezeichnet ihren Rückzug aber auch als „heroisch, masochistisch und dumm – dumm im Sinne von fahrlässig“. Seit einiger Zeit veröffentlicht Holofernes auf einer Crowdfunding-Plattform und fühlt sich dort einigermaßen wohl – dass die markanteste Zeile aus ihrem ersten Hit ausgerechnet „Guten Tag, ich will mein Leben zurück“ lautet, ist eine bittere Ironie.

Wie es der Sängerin und Autorin, die für ihre intelligent verspielte Sprache bekannt ist, gelungen ist, ihr Leben für sich zurückzugewinnen, davon erzählt sie in Die Träume anderer Leute ausführlich, und man erfährt dabei teilweise absurde Details aus den Mechanismen des Musikbetriebs. Eingelesen hat das Hörbuch die wunderbare Nora Tschirner, die mit ihrer pathosfreien und lakonischen Diktion genau die richtige Stimme für die zum Teil sehr schmerzhaften Schilderungen hat.

Rolf Thomas

John von Düffel

Die Ballade von Robin Hood

Sauerländer Audio / Argon

3,5 Sterne

Schon der Name genügt, um Heldengeschichten wachzurufen, die tief in den Hirnwindungen eingeschrieben sind. Ganz gleich, ob man dabei – je nach Alter – eher Errol Flynn, Sean Connery, Kevin Costner oder Russell Crowe vor dem inneren Auge sieht – die Abenteuer von Robin Hood werden von jeder Generation aufs Neue entdeckt, erzählt und weitergegeben. Der edle Räuber, der den Reichen nimmt und den Armen gibt – so einen kann man immer gebrauchen.

Insofern eine passende Wahl für ein familientaugliches Hörbuchabenteuer. Nachdem Martin Auer (Musik) und Rüdiger Ruppert (Idee und Konzeption) im vergangenen Jahr bereits erfolgreich Rudyard Kiplings Dschungelbuch zunächst als Erzählkonzert an der Deutschen Oper Berlin und dann als Hörbuch mit Musik herausgebracht haben, folgt nun der nächste Streich in gleicher hochkarätiger Besetzung: Christian Brückner und das wilde Jazzorchester lesen und spielen sich durch eine Neufassung der Robin-Hood-Legende, die John von Düffel nach der Balladensammlung A Gest of Robyn Hode aus dem 15. Jahrhundert verfasst hat.

Es fängt zwar wenig abenteuerlich und sogar ein bisschen dröge mit der Zusammenfassung der historischen Vorgeschichte, den Normannen und Angelsachsen, der Schlacht von Hastings, Richard Löwenherz und seinem Bruder Prinz Johann an, nimmt dann aber bald Fahrt auf und führt in die bekannten Szenen mit dem bekannten Personal: Little John, Lady Marian, Bruder Tuck und der Sheriff von Nottingham – weitere Namen, die sofort das Kopfkino in Gang setzen. Wenn dann Christian Brückner in bewährter Qualität ins Erzählen kommt, mal heiser und nachdenklich, mal munter, dann bei einem packenden Messerkampf zwischen Robin und seinem Widersacher Guy von Gisborne ins Dramatische wechselnd, wird wieder einmal deutlich, dass die Arbeit als Hörbuchsprecher eine Kunst ist, die weit über bloßes Lesen hinausgeht. Für stimmliche Abwechslung sorgt der Einschub von gereimten Balladen, die Caroline Lux zwischen den Kapiteln vorträgt, teils von einem Streichquartett unterlegt.

Auf musikalischer Seite wird großer Aufwand betrieben, und das dreizehnköpfige Orchester zeigt sich in vielen Stilen zu Hause. Eher selten findet sich untermalende Stimmungsmusik wie beim Wiedersehen des Helden mit seiner Geliebten Lady Marian, das von Streichern, Harfe und Querflöte romantisch begleitet wird. Häufig werden kurze Zwischenspiele eingeschoben, in denen das Orchester seine Vielseitigkeit beweist. Das ist teilweise witzig, etwa wenn Robins Gefährten, die „Merry Men“, zu Dixielandmusik vorgestellt werden, manchmal ein wenig beliebig, wenn ein Stockkampf zwischen Robin und Bruder Tuck von einer Funk-Nummer begleitet wird, und im schlimmsten Fall komplett unpassend, wenn die tollkühne Flucht der Helden nach dem Preisschießen in Nottingham von Bigband-Swing untermalt wird, als führe die Flucht geradewegs in ein plüschiges Tanzlokal. So bleibt unterm Strich ein „Ja, aber“: Gute Unterhaltung, aber da wäre noch mehr möglich gewesen.

Guido Diesing