Jisr

Brückenbauer aus Marokko

Die Band Jisr des marokkanischen Sängers und Gembri-Spielers Mohcine Ramdan hat sich schon mit vielen musikalischen Traditionen befasst und ist ein Schmelztiegel unterschiedlichster Einflüsse. Auf dem aktuellen Album Heritage befasst sich das Ensemble, nun in Septettstärke, tatsächlich mit marokkanischer Musik.

Von Rolf Thomas

In München ist Mohcine Ramdan gelandet, weil er in Marokko Germanistik studiert hat und das unbedingt in Deutschland fortsetzen wollte. Aus Gründen, die er selbst nicht genau benennen kann, war München seine Traumstadt. Die dreisaitige Spießlaute Gembri hat er bereits als Jugendlicher gelernt. „Ich bin in einer musikalischen Familie aufgewachsen“, führt er aus. „Mein Vater hat Oud gespielt, mein Onkel Kanun, das arabische Hackbrett. Wir haben viel arabische Musik gehört, in Marrakesch habe ich dann viele Stile kennengelernt: Berbermusik, arabische Musik, Küstenmusik, es gibt dort aber auch Einflüsse aus Andalusien und Afrika. Dort habe ich auch die Gnawa-Musik kennengelernt, der ich bis heute treu geblieben bin. Ich habe dann bei verschiedenen Meistern die Gembri gelernt, die man nicht studieren kann, weil es sich um eine orale Kultur handelt, die mündlich weitergegeben wird.“

Auf die Idee, eine eigene Band zu gründen, ist er dann in der bayerischen Landeshauptstadt gekommen. „In München habe ich viele Musiker kennengelernt, mit denen ich gespielt habe – von Weltmusik- und Jazzbands bis zu Konstantin Wecker“, erzählt Ramdan. „Die Band Jisr habe ich dann mit zwei Musikern gegründet, die aus Syrien geflüchtet waren. Mit dem Projekt wollten wir Brücken schlagen zwischen den Menschen, aber auch zwischen den musikalischen Stilen – da passt der Name Jisr gut, denn das bedeutet Brücke.“

In wechselnden Besetzungen haben Jisr sich mit den verschiedensten Musikstilen befasst. „Wir wollten musikalische Kulturen so verwirbeln, dass man den Übergang zwischen bayerischer Folklore und einer irakischen Maqam gar nicht bemerkt“, erläutert Ramdan. „Mittlerweile besteht die Kernbesetzung aus dem Trompeter Gergely Lukács, dem Akkordeonspieler Vlad Cojocaru und Roman Bunka an Oud und Gitarre. Für Heritage haben wir nun zwei Gäste dabei, um den Fokus auf marokkanische Musik zu betonen: Das sind der Geiger Marwan Fakir und der Perkussionist Rhani Krija, außerdem ist noch Marja Burchard an Klavier, Vibrafon und Fender Rhodes dabei.“

Für Mohcine Ramdan ist das neue Album ein ganz besonderes. „Heritage ist eine Herzensangelegenheit, denn hier stelle ich die marokkanische Musik in den Mittelpunkt“, betont er. „Dabei spielen Instrumente eine Rolle, die in der marokkanischen Kultur gar nicht vorkommen, etwa das Akkordeon, das Vibrafon oder das Klavier. Dazu kommen dann die marokkanischen Instrumente, die die verschiedenen Farben dieser Musik zur Geltung bringen. Die Instrumentierung ist also unkonventionell, die Arrangements sind orchestral, die Rhythmen sind vielfältig. Wir haben in den Norden, in den Süden und an die Küsten geschaut und featuren verschiedene Sprachen, und man spürt nun die Vielfalt, die Spiritualität und die Fröhlichkeit dieser Musik.“

Das Album ist aber gleichzeitig auch das Vermächtnis des Oud-Spielers und Gitarristen Roman Bunka, denn der ist am 12. Juni im Alter von siebzig Jahren verstorben. „Roman hat uns verlassen, für uns ein sehr trauriges Ereignis“, sagt Ramdan. „Er ist ein halbes Jahrhundert durch die arabische Welt gereist und kannte sich mit dieser Musik extrem gut aus.“ Bunka war bereits in den Siebzigerjahren ein Mitglied von Embryo, einer Band, die bereits Weltmusik gespielt hat, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Die Band war extrem reisefreudig, und so war Bunka schon früh in Regionen unterwegs, in denen er die arabische Kurzhalslaute Oud kennenlernte und sich fortan auf dieses Instrument verlegte – die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bezeichnete ihn in einem Nachruf als „personifizierte Klangreise“. Die Oud beherrschte er bald so meisterlich, dass er in den Ländern, in denen sie zu Hause ist, als herausragender Oud-Spieler gefeiert wurde. In Deutschland konnte er sich außerdem als Filmmusik-Komponist etablieren.

Roman Bunka war ein Musiker, der mit offenen Augen und Ohren durch die Welt ging, und so spielte er nicht nur mit Jazzmusikern wie Mal Waldron und Charlie Mariano oder mit Weltmusik-Rockbands wie den Dissidenten – deren Gründungsmitglieder einst bei Embryo gespielt hatten -, sondern hatte auch keine Scheu, auf einem Song des Pop-Duos Ich + Ich zu gastieren. Heritage ist nun das letzte Studioalbum, auf dem der Musiker zu hören ist.

Allerdings waren Jisr noch im Frühjahr dieses Jahres für einen Monat in Südindien, Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka unterwegs, bei diesen Konzerten unter dem Motto „From the Isar to the Ganges“ war Roman Bunka mit von der Partie – ein Livealbum von dieser Tour ist bereits angekündigt.

Aktuelles Album:

Jisr: Heritage (enja / Edel:Kultur)