Canarias Jazz & más
Kanarische Inseln
Von Christoph Giese. Es ist noch kein Ton gespielt, doch als der Star des Abends die Bühne des vollbesetzten Teatro Cuyás im Herzen der Altstadt von Las Palmas betritt, da tobt schon der Saal. Marcus Miller ist Kult, und die Spanier feiern den Meister des funkigen Spiels auf diversen E-Bässen schon vorab. Und der Amerikaner und seine Klasseband liefern. Jede Menge Songs mit Show-off-Potenzial für den Bandleader, Miles Davis´ „Bitches Brew“ und am Ende eine ausgedehnte Groove-Version des Beatles-Klassikers „Come Together“.
Nach solch einem Abend strahlt Miguel Ramírez, Direktor von Canarias Jazz & más. Denn dann weiß er, dass sich all die Mühen gelohnt haben. Vor 31 Jahren hat er das imposante Festival gegründet, das in diesem Jahr satte 24 Tage dauert und auf allen acht bewohnten Kanaren-Inseln stattfindet, mit den meisten Konzerten auf Gran Canaria und Teneriffa. Ramírez ist selbst Jazzmusiker und leidenschaftlicher Jazzfan. Das spürt man im Gespräch mit ihm sofort. Hier kreiert jemand ein Event aus Leidenschaft.
So fühlt sich auch das prall gefüllte Programm an. Es gibt Musik für Leib und Seele und Bands zum Entdecken. Etwa das Quartett Barencia. Der Bandname ein Wortspiel, sind die Beteiligten doch zwischen Barcelona und Florenz (Florencia auf Spanisch) beheimatet. Der Spanier Xavi Torres (p) und seine italienischen Kollegen an Bass und Schlagzeug spielen einen am Flamenco orientierten Jazz, zu dem die Mexikanerin Karen Lugo tanzt, irgendwo zwischen Flamenco und Modern Dance. Ein interessantes Gesamtkunstwerk. Große Kunst ist auch das erfrischende Projekt Olas y Arenas des Kubaners Pepe Rivero (p) und der Spanierin Ángela Cervantes (voc), die in Las Palmas in Quartettbesetzung Boleros der populären, früh verstorbenen puertoricanischen Sängerin und Songschreiberin Sylvia Rexach raffiniert und virtuos in den Jazz überführen.
Ein besonderer Spielort ist die Plaza de Santa Ana in der Altstadt von Las Palmas. Eingerahmt vom Rathaus und der Kathedrale der Stadt ist viel Platz für viel Publikum. Und das strömt bei freiem Eintritt zu den drei Open-Air-Abenden dort in diesem Jahr. Besonders berührend der Auftritt des Pokaz Trios aus Odessa. Die Musiker um den Pianisten Andrew Pokaz kreieren aus betörenden, ohrwurmartigen Melodien einen von der Klassik beeinflussten, aber auch spürbar in Osteuropa verwurzelten zeitgenössischen Jazz. Sie dürfen aus ihrer Heimat nur für kurze Konzerttouren ausreisen und müssen dann gleich wieder zurück. Ein neu komponiertes Stück spiegelt eindringlich die aktuelle Lage in der Ukraine wider, beginnt und endet es doch mit lautem Sirenengeheul.
Auch der Open-Air-Spielort in Teneriffas beliebter Urlaubsdestination Puerto de la Cruz kann sich sehen lassen. Die Bühne eingerahmt von Palmen, das Meer in Sichtweite – so lässt sich Musik perfekt genießen. Etwa die von Big Vicious, der Band des israelischen Trompeters Avishai Cohen mit coolen Sounds zwischen Jazz, Post-Rock und Electronica. Oder den beschwingten Afrojazzsoul von Tumaini, dem aktuellen Projekt der in New York lebenden Madrider Saxofonistin Berta Moreno und ihrer Band mit der charismatischen Sängerin Alana Sinkëy aus Guinea-Bissau. Wer sich dann tagsüber noch die Zeit und Muße nimmt, die Inseln zu entdecken, kann im Sommer kaum schönere jazzige Wochen verbringen.