BurgJazz-Festival

Lüdinghausen

© Stefan Pieper

Von Stefan Pieper. Gleich zwei Wasserburgen im westfälischen Lüdinghausen begingen im Juni ihr 750. Jubiläum. Gefeiert wurde mit europäischem Gegenwartsjazz vom Feinsten, wobei offen bleibt, ob das einmalige Jubiläumsevent zur regelmäßigen Einrichtung wird. Man kann nicht lautstark genug dafür plädieren. Das Publikum war begeistert – aber auch die Musiker*innen ließen sich von den einladenden Spielorten anstecken. Die belgisch-ghanaische Sängerin Esinam brachte mit ihrer Band gleich zu Beginn mit rhythmischem Druck und immenser Farbenvielfalt die Sache gewaltig in Fahrt. Spätestens als die Talking Drums knatterten, dachte man bei dieser heißen Mélange aus Jazz und Afrobeat an einstige African Dance Nights in Moers. Danach gab es noch eine Steigerung: Der Akkordeonist Vincent Peirani hat gerade sein neues, betont rockiges Trio Joker aus der Taufe gehoben. Gegen das, was er, sein Gitarrist Federico Casagrande und der zur Höchstform auflaufende israelische Schlagzeuger Ziv Ravitz im Rittersaal abfackelten, wirkt die aktuelle ACT-Aufnahme regelrecht gemäßigt – mehr hypnotische Intensität an diesem Ort und an diesem Abend ging wohl kaum. Die ungarische Sängerin Veronika Harcsa darf man zu den eindringlichsten, empfindungstiefsten Stimmen im derzeitigen europäischen Jazz zählen, das stellte sie zusammen mit ihrem Gitarrenpartner Bálint Gyémánt auf der Burgwiese vor dem Wasserschloss in befreitester Manier unter Beweis. Nach Auftritten des finnischen Pianisten Aki Rissanen, von trioscence und dem Emil Brandqvist Trio kam es am späten Sonntagabend zum stimmungsvollen Finale mit dem spanischen Marco Mezquida Trio.

Festivals werden heute „ganzheitlich“ gedacht, und dieses Anliegen wird in Lüdinghausen ernst genommen. Die Stadt mit ihrem charmanten Ambiente und ihrer Parklandschaft wirkte wie ein gleichberechtigter Akteur. Am Sonntagmittag bevölkerte eine fröhliche Schar den Park vor der Burg beim großen Picknick. Dazu gab es den musikalischen Stimmungs-Soundtrack durch die international besetzte Guy Salamon Group mit Ingredienzen aus Blues, Filmmusik, Ska, Jazz und einer Portion leichtfüßiger Verrücktheit. In Lüdinghausens Kirche St. Felizitas stand schon lange ein Vehikel für kühne Klang-Experimente bereit: Auf der großen Kirchenorgel pflegte der Brite Kit Downes einen gleichermaßen aufregenden wie lyrischen Forschungsdiskurs mit dem Instrument, traf spontane Entscheidungen in der Improvisation und erkundete mit Cluster-Sounds und mikrotonalen Experimenten aufregende Grenzbereiche.

Die wohl konzentrierteste Spielstätte des Festivals war der kreisrunde Innenhof mitten in der Wasserburg. Hier schöpfte das Percussion-Ensemble Krama von der Musikhochschule Münster klanglich und atmosphärisch aus dem Vollen. Atmosphäre genießen und dadurch ohne Berührungsängste in künstlerische Qualität eintauchen – dieses Festival zu einem großen westfälischen Burg-Jubiläum löste seinen Anspruch mit beachtlicher Leichtigkeit ein.