ABEL SELAOCOE © Christina Ebenezer

Abel Selaocoe

Regeln brechen, um frei zu sein

War Joseph Haydn je in Afrika? In Konzerten des südafrikanischen Cellisten Abel Selaocoe kann man sich die Frage schon mal stellen, wenn ein Streichquartett des Wiener Klassikers naht- und bruchlos in den Hymnus „Ibuyile iAfrica“ übergeht. Abel Selaocoe sorgt schon seit einigen Jahren mit faszinierender stilübergreifender Musik für Aufsehen, jetzt hat er endlich sein Debüt veröffentlicht.

Von Guido Diesing

Die Geschichte klingt wie ein modernes Märchen. Abel Selaocoe wuchs in einem südafrikanischen Township auf und begann als Kind, Cello zu spielen, weil sein älterer Bruder ihn vom schlechten Einfluss der Straße fernhalten wollte. „Wenn du zu viel Zeit hast, kannst du vom Weg abkommen“, sagt der Cellist rückblickend. „Das war meinem Bruder bewusst, auch wenn er nicht wissen konnte, dass wir uns in die Musik verlieben und ihr unser ganzes Leben widmen würden. Uns wurde klar, dass das ein Schlüssel zum Zugang in eine andere Welt sein könnte, auch spirituell.“ Inzwischen begeistert der 30-Jährige in den großen Konzertsälen und gibt der Musikwelt mit seiner Verbindung von Klassik, afrikanischer Tradition und Improvisation erfrischende und originelle Impulse.

Dass er so weit gekommen ist, verdankt Selaocoe neben seinem Talent und Fleiß einigen glücklichen Fügungen. In der Musikschule in Soweto hörte ihn Michael Masote, eine wichtige Figur in der südafrikanischen klassischen Musik. „Er hat mir gezeigt, dass es vielleicht nicht alles ist, Cello zu spielen, sondern dass es darum geht, ein Musiker zu sein, sich in verschiedenen Rollen auszudrücken, mit der Stimme, dem Instrument.“ Masotes Sohn, sein erster Cellolehrer, setzte sich dafür ein, dass Selaocoe auf eine Eliteschule, das St. John’s College in Johannesburg, gehen konnte – der Wendepunkt für den damals 13-Jährigen. „Ich schnitt in den Aufnahmetests in Englisch und Mathe nicht gut ab, aber dann absolvierte ich ein Vorspiel und sie gaben mir sofort ein hundertprozentiges Stipendium. Das hat mein Leben verändert bis heute. Ich lebte in einem Internat mit Jungen vieler Hautfarben und Kulturen. Zum ersten Mal hatte ich einen Übungsraum, eine Turnhalle, zum ersten Mal lernte ich, wie man einen Terminplaner führt, um meinen Zeitplan zu organisieren. Ich hatte so ein Leben noch nie zuvor gelebt.“

Er stellte fest, dass sein Ansatz, Cello und Gesang, afrikanische Musik und westliche Klassik miteinander zu verschmelzen und sich improvisatorische Freiheiten zu nehmen, keineswegs selbstverständlich war. „Ich merkte es, als ich andere, weiße Kinder kennenlernte, die Cello spielten, aber nicht dabei sangen, die Rhythmus nicht auf dieselbe Art mochten, die sich mehr für das Cello als für die Musik interessierten, denen es mehr um die technischen Hürden ging als um die musikalischen Ziele, die man durch das Meistern einer technischen Herausforderung erreichen kann.“ Seine Lehrer ließen ihn gewähren und neben dem klassischen Unterricht eine Band mit Saxofon, Bass, Cello und Klavier gründen, für die er Songs schrieb.

Dieser Dualität ist er bis heute treu geblieben. Als er – wiederum als Stipendiat – zum Studium nach England ans Music College in Manchester wechselte, merkte er, dass es nicht nur ums Lernen, sondern auch ums Verlernen ging. „Ich lernte die Schönheit der klassischen Musik in ihrem ganzen Überfluss kennen. Aber als ich begann zu improvisieren, musste ich, um frei sein zu können, die Art ändern, wie ich Musik hörte. Man lernt Systeme, man lernt die Regeln, aber wenn man einzigartig sein will, muss man die Regeln brechen. Das ist auch eine Herausforderung für mein Publikum, zu hinterfragen, wie sie zuhören. Ich möchte immer neugierige Menschen um mich haben, die Fragen stellen und Ideen diskutieren.“

Solche Menschen hat er auch auf seinem Debütalbum Where Is Home (Hae Ke Kae) um sich. Da ist seine Hauptband, das Trio Chesaba mit Alan Keary (e-b) und Sidiki Dembele (perc), die vor allem in den rhythmischen und experimentelleren Passagen glänzen. Auf der anderen Seite stehen Mitglieder des innovativen Streichorchesters Manchester Collective und mehrere Gäste, darunter der Weltstar Yo-Yo Ma, den Selaocoe nicht nur als Cellisten bewundert: „Er war immer ein Vorbild für mich, so wie er in unterschiedliche Welten passt und dort willkommen ist.“

Das Album bietet mitreißende Grooves und berückende Harmonien, Gesang, der mal mit lyrischer Sanftheit bezaubert und dann als raspelnd-archaischer Kehlkopfgesang aufrüttelt. Es entfaltet sich eine Klangwelt voller Überraschungen, wenn etwa in einer spätbarocken Cellosonate von Platti neben der erwartbaren Theorbe auch eine Kora zum Einsatz kommt – Instrumente, die wohl die wenigsten zusammendenken, anders Abel Selaocoe: „Barockmusik und afrikanische klassische Griot-Musik zusammenzubringen und ihre Gemeinsamkeiten zu finden, war schön und wichtig. Der Faden, der sie verbindet, ist die Improvisation.“

Apropos Improvisation: Als das Art Ensemble of Chicago 2019 auf dem London Jazz Festival sein 50-jähriges Bestehen feierte, luden sie zwei Musiker aus UK als Gäste ein: Shabaka Hutchings (sax) und Abel Selaocoe. Für den Cellisten der erste Ausflug ins Reich des völlig freien Spiels: „Es war ziemlich unglaublich. Roscoe Mitchell zu treffen, war nicht von dieser Welt. Die Schönheit des Art Ensembles besteht darin, jungen Leuten weiterzugeben, wie man ein Künstler mit schwarzer Identität sein kann.“

Aktuelles Album:

Abel Selaocoe: Where Is Home (Hae Ke Kae) (Warner)