Adrien Brandeis

Intuitives Verständnis für Latin

Vom Klang her würde man Adrien Brandeis zunächst einmal für einen Kubaner halten. Oder einen Brasilianer. Zumindest seine Wurzeln dürfte der 26-jährige Pianist doch irgendwo in Lateinamerika haben – wie sonst könnte ein Franzose aus Annecy ein Debüt-Album wie Euforia veröffentlichen? Ein Album, auf dem sich Rumba, Son und Bossa Nova mit derartiger Leichtigkeit ausbreiten, dass man beim Zuhören die Sonne über den Straßen Havannas schmeckt, das sämtliche Sinne anregt und zugleich von immenser Innovationskraft zeugt. Doch Brandeis beruft sich nicht auf ein Erbe, sondern vertraut lediglich seiner Intuition. Dafür ist er nun mit dem LetterOne Rising Stars Jazz Award ausgezeichnet worden.

Von Thomas Kölsch

Wer nach Erklärungen für Adrien Brandeis‘ magisches Händchen in Sachen Latin Jazz sucht, wird zwangsläufig scheitern. Familiäre Prägung? Negativ. Sozialisation? Spielt auch keine Rolle. Nein, eigentlich ist einzig und allein der Zufall schuld. Zumindest am Anfang. „Ich habe bei Philippe Cocogne am Konservatorium von Cagnes-sur-Mer Jazz studiert und bin dabei auf die kubanische Musik gestoßen“, erzählt Brandeis. „Sie hat mich fasziniert, diese Lebendigkeit, diese Rhythmen. Also habe ich mich intensiv damit beschäftigt und viel aus diesem Bereich gehört. Rubén González, Michel Camilo, Chick Corea, Osmany Paredes …“ Und das war‘s. Keine Auslandsreisen, um die Musik vor Ort zu studieren? „Nein, bislang war ich höchstens mal im Urlaub da“, sagt Brandeis. „Ich würde das aber gerne nachholen und mal mit einem der alten Meister arbeiten. Bislang kann ich mich vor allem auf meine Lehrer berufen und auf ein Buch, das man mir einmal empfohlen hat.“
Umso erstaunlicher ist es, dass Brandeis sich die pulsierenden Rhythmen des Latin-Jazz derart zu eigen gemacht hat, dass er mit ihnen spielen kann wie nur wenige andere europäische Pianisten. Mehr noch, der 26-Jährige hat all seine Musik auch noch selbst komponiert. „Die Melodien habe ich in der Regel zusammen mit Joachim Poutaraud entwickelt, den ich schon aus dem Studium kenne“, erzählt Brandeis. Der Saxofonist ist ihm ein wichtiger Partner und ein guter Freund, ebenso wie Drummer Ludovic Guivarch. Bassist Guillaume Leclerc stieß später hinzu, Gleiches gilt für den Perkussionisten Philippe Ciminato. „Philippe ist für meine Musik ungeheuer wichtig, weil er die nötigen Impulse geben kann“, so Brandeis. Und weil er mit seinen Bandkollegen die Basis für das expressive, virtuose und urbane Spiel des Pianisten bereitet.
Dank des Rising Stars Jazz Award stehen Adrien Brandeis nun alle Türen offen. Bestandteil des Preises ist eine Tour zu sieben großen europäischen Jazzfestivals, darunter das Kongsberg Jazzfestival in Norwegen, die Jazzopen Stuttgart und das Jazzfestival in Nizza. „Ich freue mich schon auf all diese Auftritte, vor allem auf den in Nizza, wo ich meine ersten Schritte als Musiker gemacht habe. Bis heute ist die Stadt für mich meine Heimat.“ Gleichzeitig will Brandeis die Gelegenheit nutzen, um neue Einflüsse kennenzulernen. Denn auch wenn er dem Latin Jazz sehr verbunden ist, gibt es durchaus mehr, was ihn reizen würde. So zählt er zu seinen Einflüssen den Rock-Organisten Jon Lord, zu dem er eine besondere Affinität spürt. „Ich habe tatsächlich mal in einer Deep-Purple-Tribute-Band gespielt“, erzählt er lachend. „Ich finde vor allem die Blues-Läufe von Jon Lord unglaublich. Latin Jazz ist ja ungeheuer energetisch und kraftvoll, aber das gilt meiner Meinung nach auch für Deep Purple. Wer weiß, vielleicht mache ich ja irgendwann mal ein entsprechendes Album.“

Dann wieder denkt er an Indien und Nepal, wo er mit seiner Band im Dezember aufgetreten ist. „Auch diese Länder haben mich sehr inspiriert“, sagt er. „Es gibt eine Menge Elemente aus der traditionellen indischen Musik, die ich gerne aufnehmen würde. Bei einem meiner Stücke spiele ich sogar schon eine Art Raga, würde mich aber gerne noch intensiver damit auseinandersetzen.“ Wenn er sich diese Stilistik ebenso mühelos erarbeitet wie die kubanische Rhythmik, darf man gespannt sein, was Brandeis in Zukunft noch so einfällt. Neugierig ist er auf jeden Fall auf alles, was sich dem Jazz nicht verweigert. Denn der ist und bleibt der Mittelpunkt seines musikalischen Schaffens. „Ich bin in erster Linie Jazz-Komponist, das ist meine große Liebe“, betont er. Alles andere können nur zusätzliche Facetten sein. Diese gilt es nun zu schleifen, langsam und bedächtig natürlich. Nur nichts überhasten. Zunächst einmal will Adrien Brandeis die Möglichkeiten nutzen, die ihm der Rising Stars Jazz Award bietet, will sich international einen Namen machen und sich mit Künstlern aus aller Welt vernetzen. „Wir sind uns sicher, dass wir auch in Zukunft noch viel von ihm hören werden“, hatte die Fachjury des Awards, zu der auch Jamie Cullum gehörte, in ihrem Votum gesagt. Sie dürften damit richtig liegen.