Airelle Besson

AIRELLE BESSON © Sylvain Gripoix

Luftig, aber geerdet

TRY! Die Musik auf dem neuen Quartett-Album der Pariser Trompeterin Airelle Besson ist eine einzige Aufforderung zum Ausprobieren des offenen Klangs – luftig, ohne Bass, aber immer mit festem Boden unter den Füßen.

Von Jan Kobrzinowski

Die Trompete eröffnet mit einer Fanfare, am Klavier schleicht sich Benjamin Moussay herein, danach Fabrice Moreaus feingliedriges Schlagzeug und, im Unisono mit der Bläserin, Isabel Sörlings Stimme, die für die spröde, man könnte sagen skandinavische Seite des Quartetts steht. Denn ganz gleich, ob die Schwedin nun englische Lyrics oder wie hie im ersten Teil der Suite „The Sound of Your Voice“ wordless singt – sie lässt die nordische Hymne durchklingen. „Es war mir sehr wichtig, eine weibliche Stimme für das Quartett zu finden“, sagt Airelle Besson. „Ich suchte sehr lange, bis ich dann Isabel fand. Sie kann ganz unglaublich instrumental singen. Ihr Ton mischt sich sehr gut mit dem Sound der Trompete, und sie hat eine große Range. Zusammen klingen wir manchmal wie ein Bläsersatz. Es kam sogar vor, dass wir nicht mehr wussten, wer was gespielt hat. Diese Art von Geheimnis gefällt mir sehr.“

Tatsächlich prägt die außergewöhnliche Kombination von Stimme und Trompete mit ihren sich zurufenden Melodien und einander ergänzenden Harmonielinien die Atmosphäre des ganzen Albums. Dieses Konzept lässt TRY! trotz stilistischer Vielfalt wie aus einem Guss klingen. Die Neigung zu – oft mehrstimmig angelegten – Arpeggien wirkt zu keiner Zeit überstrapaziert, weil die Musik so viel Schönheit und Strahlkraft besitzt. Mit federnder Leichtigkeit geht es dann weiter in Part II der Suite. In Teil 3 kann die Sängerin sich dann ganz und gar der ebenfalls von der Bandleaderin geschriebenen Lyrik widmen. Die hymnische erste Strophe dieses Teils führt Airelle dann in einem Trompetenchorus weiter, bevor die beiden Melodikerinnen die Suite einander umspielend zur Ruhe führen.

Von Beginn an fällt auf, dass Airelle Besson weder kompositorisch noch mit ihrem Instrument in irgendeinem Sinne im Vordergrund steht, auch im weiteren Verlauf hält sich die Bandleaderin vielmehr selbst an die eigene programmatische Aufforderu

AIRELLE BESSON QUARTET © Sylvain Gripoix

ng, alles zu probieren, was passiert, wenn man einem eingespielten Quartett freien Lauf lässt. TRY! war Ausdruck unseres state of mind, als wir ins Studio gingen: Lass uns ausprobieren, was immer kommt. Wir hatten natürlich nicht so viele Möglichkeiten zu proben, wie wir es gern gehabt hätten. Und dann ist da der Song mit dem Titel ‚Try!‘. Er hat Lyrics, die mir viel bedeuten: Probiere aus, was immer es zu entdecken gibt! Let’s do it! Lass uns das Beste herausholen. Ich hatte nie vor, mich selbst in den Vordergrund zu stellen. Die Idee zum Opening mit der Trompete entstand aus dem Wunsch des Publikums bei einem Konzert in der Bretagne, das nach einem Trompeten-Solo verlangte. So wurde es zu einem festen Teil des Stückes, das Thema erst mal mit leichten Variationen solo vorzustellen.“

Das basslose Spiel im Ensemble gefällt Airelle Besson nicht erst seit dem Vorgänger-Album ihres Quartetts, Radio One, sie kennt es auch von ihrer Zusammenarbeit mit einem „deutschen Trio“: Mit Sebastian Sternal an Klavier und Fender Rhodes und dem Schlagzeuger Jonas Burgwinkel spielt sie schon seit ihrer Einladung zum Münster Jazz Festival 2015. Im vergangenen Jahr wurden nun Aufnahmen gemacht, ein Album des Trios soll in diesem Herbst erscheinen. „Alle spielen irgendwie anders ohne Bass. Ich finde dieses ‚störende‘ Element gut. Dass wir im Quartett ohne Bass spielen, ist kein Zufall. Ich dachte bei der Zusammenstellung des Line-ups von Beginn an mehr an die Musiker dieses Quartetts und auch an diese spezielle Instrumentierung. Benjamin spielt neben Piano und Fender Rhodes auch ab und zu sparsam den Bass auf dem Synthesizer, aber viel weniger als auf Radio One. Fabrice liebe ich für seinen musikalischen Ansatz am Schlagzeug.“ Moreau ist in der Tat ein interaktiver Schlagzeuger, natürlich ist er für den Puls zuständig, aber er umspielt die Melodien stets einfühlsam. Besonders schön zu hören auf „Fly Away“, vielleicht ermöglicht ihm gerade die Abwesenheit des Basses eine größere Freiheit.

„Angel’s Dance“ und „Uranus et Pluton“ sind elegisch gespielte Balladen mit rhythmischem Impact, insofern Fortsetzungen von Airelles Quartett-Konzept der offenen Räume. „Patitoune“ und „Fly Away“ stehen für die rhythmische Spielfreude aller Beteiligten. Es beginnt meist mit Arpeggien, die dann melodisch und rhythmisch ausgearbeitet werden. Das setzt sich fort im suitenhaften „Après la neige“, das am Ende fast wie ein Bach-Präludium verklingt. Schließlich beendet „Lulea’s Sunset“ das Album mit einer besinnlich vom Klavier ausgehenden langsamen Narration, die wiederum in ein atmendes Unisono von Stimme und Trompete mündet, um die Zuhörenden dann in eine nocturne Improvisation zu entlassen.

Airelle Besson war im vergangenen Jahr und danach durchgängig viel beschäftigt und hatte zudem das Glück, von einer Stiftung unterstützt zu werden. Zurzeit ist sie Artist-in-Residence in der Cité musicale-Metz und darf dort auf die Live-Premiere von TRY! hoffen. Dazu wird sie mit dem Orchestre National de Metz ein Programm zwischen Klassik und Jazz erarbeiten und schreibt an einem Programm für die Big Band de l’Union im nahe gelegenen Woippy.

Aktuelles Album:

Airelle Besson: TRY! (Papillon Jaune / Broken Silence)