Akut-Festival Mainz

© Frank Schindelbeck

Von Peter Steinfadt. Menschenskinder, das Akut-Festival in Mainz, ein Klassiker in der nunmehr 23. Ausgabe, war richtig gut besucht. Wohl getreu dem Credo „Jetzt erst recht, bevor alle Schotten pandemiebedingt wieder schließen“ präsentierten die Veranstalter im Frankfurter Hof sechs Live-Acts. Der Zuspruch tat auch Marlies Weißenberger vom Verein UpArt sichtlich gut, hatte sie doch die undankbare Aufgabe, das Aus des feinen Festivals zu verkünden. Zuviel Orga, zu wenige Ehrenamtler – schade. Denn auch diesjährig gab es vieles zu entdecken, und die musikalische Heterogenität wurde gefeiert. Die Band Elegiac um Frontmann Ted Milton, den Jazzpunk-Saxplayer der Band Blurt, feierte in Mainz eine Weltpremiere: den ersten gemeinsamen Live-Auftritt. „Hello, you must be the chosen few!“, verkündete dann auch selbstbewusst New-Wave-Legende Graham Lewis von der einflussreichen Band Wire. Milton, mittlerweile 78 Jahre jung und gut gereift, schüttelte gemeinsam mit Sam Britton (electr) und Lewis (b) lässige, manchmal treibende Beats aus dem Ärmel. Der ewige Milton legte mit prägnanter Stimme fein ziselierte Lyrics über den Musikteppich. Elegiac spielte echte abwechslungsreiche Songs im Fünf- bis Sieben-Minuten-Format. Echte Rocker eben, keine Improvisationen.

© Frank Schindelbeck

Philipp Groppers Philm, aktuelle Preisträger des Deutschen Jazzpreises, spielten, wie auch alle anderen Künstler*innen des Festivals, ein pausenloses sechzigminütiges Set. Die Band des Tenorsaxofonisten agierte atmosphärisch sehr dicht. Eruptive, atemlose Passagen wechselten sich mit ruhigeren Klängen ab. Sehr schön bei der Arbeit zu beobachten: Oliver Steidle am sehr kleinen Drumset, für den Autor der heimliche Star des Ensembles. Das letzte Konzert des Eröffnungsabends bestritt das Trio John Dikeman, John Edwards und Christian Lillinger, ebenfalls ausgezeichnet mit dem Deutschen Jazzpreis. Power ohne Pause, furios, keine Zeit zum Durchatmen. Feinster Freejazz und am Ende ein nassgeschwitzter Saxofonist John Dikeman. Schön anstrengend, anstrengend schön.

© Frank Schindelbeck

Der zweite Festivalabend begann mit Mount Meander, einem Ensemble, das sich strategisch allen Genrezuordnungen entzieht. In zwei langen Improvisationen spielte das Quartett frei und in seinen besten Momenten hochkonzentriert und dicht. Die vier beherrschen ein wunderbares Spiel der Dualitäten laut/leise, ruhig/verspielt und bauten einen Spannungsbogen mit Reminiszenzen in Richtung Spiritual Jazz auf – für den Autor das persönliche Highlight des Festivals. Der Soloauftritt der Französin Camille Emaille war ein ganz besonderes Rhythmuserlebnis. Die Schlagzeugerin vermag es, aus der Magie des Moments heraus mit teilweise selbstgebauten Instrumenten zu faszinieren und zu unterhalten. Und auch wenn jetzt fünf Euro fürs Redaktionsphrasenschwein fällig werden – Nik Bärtsch’s Mobile spielten mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks. Damit ist eigentlich schon fast alles gesagt. Sie selbst nennen das Ritual Groove Music. Diese bewegt sich am Rande der Neuen Musik, erinnert entfernt an Steve Reich und ist doch mit ihrem Zeitlupengroove sehr eigenständig. So wurde das Trio am Ende des Festivals zu Recht gefeiert. Es bleibt zu hoffen, dass das Akut-Festival doch noch irgendwie weitergehen mag. Mainz braucht neue Frauen und Männer. Freiwillige vor!