Winterjazz

Köln

© Niclas Weber

Von Stefan Hentz. Köln, Winterjazz, die elfte Ausgabe am ersten Wochenende des Jahres 2022, verkleidet als Schrödingers Katze: da und nicht da zugleich. Hat ja beides seine Vorteile, „da“ heißt volle Aura und Gegenwärtigkeit. „Nicht da“ dagegen: Alles ist einfacher. Keine langen Schlangen von Wartenden vor dem Stadtgarten, kein gut gelauntes und erwartungsfrohes Gedrängel, auch nicht vor den Bars und Clubs in der Nachbarschaft. Kein geschäftiges Treiben, keine Schnupperbesuche beim Jazz, kein risikofreies Ausprobieren der verschiedenen Facetten, die die reichhaltige Kölner Jazzszene anzubieten hat, musikalisch beschwert in diesem Jahr durch eine Kooperation mit „NICA – artist development“, dem Förderprogramm des Landes NRW, das herausragende unter den vielen ausgezeichneten Musiker*innen des Landes dabei unterstützen soll, ihren ästhetischen Standpunkt zu klären, internationale Netzwerke aufzubauen, kurz: überlebensfähig zu werden als Künstler*in.

© Niclas Weber

Statt der großen Sause in einer Winternacht ein öffentliches Nicht-Event in Gestalt eines nicht-öffentlichen Events für geladenes Fachpublikum aus ganz Europa, bei dem 18 Formationen mit je einem 20-minütigen Set im Stundentakt die enorme Qualität und stilistische Breite der Kölner Szene repräsentierten. Anders ausgedrückt: Unbeschadet von allen äußerlichen Einschränkungen und Kümmernissen und geschrumpft zu einer Folge von Showcase-Konzerten war Winterjazz auch im zweiten Corona-Winter ein hochspannendes Festival, das seine Spannung scharfkantigen Kontrasten verdankte. Wenn auf ein frei improvisiertes Solo-Rezital der Cellistin Elisabeth Coudoux, der noch etwas unabgehangene Gegenwartsjazz eines Quartetts um den Bassisten Roger Kintopf folgt, auf den groovigen Rockjazz von Re: Calamari, einem Projekt des Bassisten Oliver Lutz mit Pablo Held als coolgestellten Dompteur der Tasten, der elektronisch verpeilte Pop von Lariza, dem Quintett um die Vokalistin Lena-Larissa Senge, dann sind Brüche zu verdauen, und das ist gut so und illustriert, dass der Begriff Jazz in dem Feld, das Winterjazz umreißt, offene Grenzen aufweist.

© Niclas Weber

Eine der entlegensten und eindrucksvollsten Performances der beiden Winterjazztage bot das Duo des Trompeters Pablo Giw mit dem Tänzer Kelvin Kilonzo, eine radikal entschleunigte Meditation über Anziehung und Abstoßung, in der die Töne der Trompete zu perkussiven Geräuschen geronnen sind, Geräuschen, die sich wiederholen, zu Mustern verbinden, zu Rhythmen, in der aus einem Minimum an Input ein Maximum an Berührung, an Spannung entsteht. In diesen Momenten lösten sich die festgefügten Konzeptionen von Musik und Nicht-Musik auf und es entstand eine Intensität, die an Schrödingers Gleichnis über die rätselhafte Mechanik der Quanten anschloss: da und zugleich nicht da.