Alexandra Lehmler & Matthias Debus

© Christina Laube / Mehrdad Zaeri

Unter Vögeln

Einfach mal losfliegen – das ist in Pandemie-Zeiten leider nicht mehr ohne Weiteres möglich. Es sei denn, man ist Musiker mit einem Faible für Metaphern – und mit einem Partner, der Starthilfe geben kann. Saxofonistin Alexandra Lehmler und Bassist Matthias Debus haben es auf diese Weise immerhin geschafft, sich in die Luft zu schwingen und mit Tandem ihr erstes Duo-Album aufzunehmen – ein intimes, entspanntes, luftiges Werk mit so manch hörenswerter Wendung. Und ein paar schrägen Vögeln.

Von Thomas Kölsch

Schon seit Jahren haben Alexandra Lehmler und Matthias Debus immer wieder ein Duo-Projekt ins Auge gefasst, um dem privaten Pas de deux auch einen musikalischen zur Seite zu stellen. „Irgendwie haben wir aber immer den Fokus auf größere Projekte gelegt“, sagt Lehmler, die auf ihrer Webseite derzeit zwei Quartette, drei Trios (fast alle mit ihrem Mann am Bass), ein Kollektiv sowie ein bereits existierendes Duo mit Vibrafonist Franck Tortiller listet, regelmäßig Jazz für Kinder anbietet und nebenher bei der ein oder anderen Theaterproduktion für den richtigen Klang sorgt. Dazu noch die weiteren Projekte von Debus – kein Wunder, dass bislang schlichtweg die Zeit fehlte. Dann jedoch kam Corona, und alles wurde anders. Oder? „Nicht ganz“, sagt Lehmler. „Wir waren zwar weniger unterwegs, aber auch unsere drei Kinder waren immer zu Hause, so dass wir doch nicht so viel Zeit hatten wie gedacht. Am Ende haben wir kurzerhand einen wöchentlichen Jour Fixe eingeführt, an dem wir uns ausschließlich auf die Musik konzentrierten.“

Diese Sitzungen entwickelten sich schnell zu Flugstunden, in denen sich Lehmler und Debus die Freiheit nahmen, die Grenzen ihrer Musik auszuloten. „Tatsächlich liegen Struktur und Freiheit als Pole gar nicht so weit auseinander“, betont Debus, und seine Frau ergänzt: „Für mich liegt der Reiz immer in den Gegensätzen. Musik darf und muss auch mal ein bisschen wehtun und aufrütteln, anstatt stets in der Komfortzone des roten Fadens zu bleiben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unser Publikum eine große Bandbreite zu schätzen weiß und ,Unerhörtes‘ dankbar annimmt.“ Allzu weit entfernt sich das Paar aber selten von den Kompositionen; lediglich die drei Miniaturen, die mit „Schräge Vögel“ betitelt und – so viel Ordnung muss dann doch sein – konsequent durchnummeriert sind, sind eher dem Geräusch denn dem Klang verpflichtet. Und dann wäre da noch der Opener „Une hirondelle ne fait pas le printemps“ („Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“), ein träges, geerdetes Stück, bei dem Bass und Saxofon um den tiefsten Ton zu konkurrieren scheinen, aber keine Anstalten machen, abzuheben und den Himmel zu erkunden. Das kommt erst danach, bei „Take Off“ mitsamt dem eröffnenden Chorgesang – Aufnahmen mit Overdub machen es möglich – und der ein oder anderen Arabeske, auch wenn Debus am Bass weiterhin für Bodenhaftung sorgt.

Doch woher kommt überhaupt die Faszination an Vögeln und am Fliegen, die das Album weit mehr prägt als das titelgebende Tandem? „Wir haben bei uns zu Hause viele Schwalben, die jeden Frühling zurückkehren und brüten“, erklärt Debus. „Die sind voll auf Teamwork angewiesen, und das gilt auch für uns als Musiker. Wir fliegen gerne los und genießen die Freiheit, aber die ist nur dort erfahrbar, wo es auch in Form komponierter Teile ein ,Nest‘ gibt, das einem einen Rahmen bietet. Außerdem müssen wir natürlich unsere Kompositionen im Blick behalten, zu denen wir ja stets zurückkehren wollen.“ Diese Absicherung ist für ein Duo aus zwei linearen Instrumenten besonders wichtig, bleibt doch bei jedem Ausflug in das Reich der Improvisation nur eine dünne Halteleine. „Mit einem Harmonieinstrument ist es manchmal sicher einfacher, ein Stück zu interpretieren“, gesteht Lehmler, „aber es ist auch eine Freiheit, darauf verzichten zu können. Matthias und ich verstehen uns musikalisch so gut, dass wir keine großen Worte verlieren oder alles notieren müssen. Wir beide empfinden das als unglaublich wertvoll.“

Wie gut dieses Zusammenspiel funktioniert, zeigt sich immer dann, wenn die Stücke an Leichtigkeit gewinnen, so wie bei dem tänzerischen „Flieg, kleiner Vogel“, dessen Zweistimmigkeit in den letzten Takten dank einer Loop-Station zu einer Polyphonie in bester New-Orleans-Manier erweitert wird. Ähnlich charmant ist „Am seidenen Faden“, das trotz einer melancholischen Färbung über eine chansonhafte Eleganz verfügt. Dagegen lässt „Ikarus“ genau das vermissen, jenen nach oben strebenden Impuls, der einst der Menschheit den Traum vom Fliegen vermittelte.

Spannend dürfte noch werden, wie zumindest einige der „Tandem“-Stücke live klingen werden, ohne Overdubs und andere Aufnahmetechniken. Andererseits füllt sich so langsam wieder der Terminkalender, auch für die größeren Formationen. „Mit der aktuellen Quartettbesetzung haben wir im Mai 2019 noch eine Live-LP aufgenommen, deren Stücke wir seitdem nicht wirklich spielen konnten“, sagt Lehmler. „Wir freuen uns sehr, dass wir jetzt einige Konzerte der Release-Tour nachholen können.“ Und für das Duo? Bleibt im Notfall immer noch ein Jour Fixe.

Aktuelles Album:

Alexandra Lehmler & Matthias Debus: Tandem (Neuklang / In-Akustik)