Angrajazz

Angra do Heroísmo

Von Christoph Giese. Das hätte ins Auge gehen können. Wenn „Lorenzo“ ein wenig anders und ein wenig später über die Azoren gerauscht wäre, dann hätte es die 21. Ausgabe von Angrajazz vielleicht nicht oder auf jeden Fall nicht komplett gegeben. Aber so war am Ende alles gut. Zumindest aus der Sicht der Festivalmacher. Denn natürlich hat Hurrikan „Lorenzo“ auf einigen anderen, kleineren Azoreninseln erheblichen Schaden angerichtet, sogar einen Hafen zerstört, und das alles genau einen Tag vor Festivalbeginn. Aber am Vorabend der ersten Konzerte war der Spuk überall vorbei und die Flieger mit den ersten Musikern konnten auf Terceira wieder landen.

Miguel Zenón Quartet © Rui Caria

Wenn der Vergleich angesichts der von „Lorenzo“ angerichteten Schäden nicht unpassend wäre, ließe sich sagen: Wie ein Wirbelsturm fegte auch das Émile Parisien Sfumato Quintet am Festivaleröffnungsabend über die Inselhauptstadt Angra do Heroísmo. Im kreisrunden Kultur- und Kongresszentrum schwingt sich der französische Sopransaxofonist mit seiner international besetzten Band zu einer packenden Tour de Force voller Spielwitz auf. Mal kurz von lässigen Rockgrooves in einen Walzer einbiegen? Kein Problem. Folklore mit Jazz zu mischen, gefühlvolle Momente mit wilden Eruptionen und harmonischen und melodischen Abstraktionen von freigeistigem Jazz zu paaren, eigene Stücke mit Material des wilden Joachim Kühn – all das macht Parisiens mitreißenden Auftritt an diesem Abend aus. Vergessen, dass der vorgesehene Gast, Bassklarinettist Michel Portal, wegen Krankheit nicht dabei sein konnte.

Ein anderer Saxofonist überzeugte längst nicht so. Der Portugiese João Mortágua und sein so hoch gelobtes Sextett AXES, besetzt mit vier Saxofonisten und zwei Schlagzeugern, vermochten nie diesen Sog zu entwickeln, von dem man sich gerne hineinziehen lässt. Schon die elektronischen Effekte bei Saxofonen und auch einigen Schlagzeugbeats – geschmacklich hart an der Grenze. An diesem Abend war vieles bei AXES Stückwerk, trotz der honorigen Idee, etwas anderes als das Übliche bieten zu wollen.

Manchmal ist aber genau das magisch. Frank Kimbrough Quartet plays Monk – so schlicht der Titel, so zauberhaft das Konzert. Hat man je eine berührendere Version von „Round Midnight“ gehört als jetzt auf Terceira? Schwierig vorzustellen. Wie Pianist Frank Kimbrough die Töne hintupft, Bassist Rufus Reid und Schlagzeuger Billy Drummond die Rhythmen sanft einrühren und Saxofonist Scott Robinson wahnsinnig luftig gespielt die Melodie durch sein Tenorsaxofon haucht – ohne Worte. Eine Box mit sechs CDs voll mit Monks Musik hat Kimbrough Ende 2018 herausgebracht; mit einem ganzen Schwung dieser Stücke verwöhnte er auf den Azoren.

Was blieb sonst noch hängen? Dass US-Sänger Allan Harris ein vorzüglicher Crooner ist, der mit raffinierten Versionen bekannter Jazzmusik durchaus zu überraschen wusste. Der aber leider auch gnadenlos überzog und dabei auch ein wenig zu viel plauderte. Dass Miguel Zenóns Quartet einfach heiß ist. Dass das heimische Orquestra Angrajazz immer wieder viel Spaß macht. Und dass Angrajazz ein wirklich familiär wirkendes, sehr angenehmes Festival in einer traumhaften Umgebung ist.