Anna Gréta

Anna Gréta © Birna Ketilsdóttir Schram

Am Polarhimmel

Nachtschwalben sind weltweit verbreitete Vögel, lediglich in den Polarregionen sind sie nicht anzutreffen. Eine Nachtschwalbe am Polarhimmel ist also etwas Seltenes. Bei einer Vogelbeobachtung im schwedischen Gotland konnte die isländische Pianistin und Sängerin Anna Gréta eine beobachten, die sie zum Song und Albumtitel A Nightjar in the Northern Sky inspirierte.

Von Angela Ballhorn

Heimweh nach ihrer isländischen Heimat wie viele Landsleute hat die junge Musikerin nicht. „Ich war erst kürzlich zu Hause, habe beim Reykjavík Jazzfestival und ein paar Gigs mit meinem Vater gespielt. Die Natur dort ist einfach toll, ganz besonders der Vulkan. Aber es ist wichtig für Isländer, im Ausland zu leben, weil das Land so klein ist. Schweden ist ziemlich nah an Island, und ich bin glücklich, Teil der größeren Jazzszene hier zu sein. Die Szene in Island ist klein, obwohl dort viele gute Musiker sind. So fühlt es sich an, als ob ich zwei Zuhause habe.“

Doch für ihr Debütalbum hat sich Anna Gréta Musiker aus der Heimat gesucht, zusammen mit Skúli Sverrisson (b), Einar Scheving (dr), Hilmar Jensson (g) und ihrem Vater Sigurður Flosason, der in den Stücken „Sleepless“ und „The Tunnel“ kochende Saxofonsolos beisteuert, hat sie zwölf Stücke eingespielt. „Ich wollte unbedingt mit Albert Finnbogason aufnehmen, der unter anderem auch Soléy produziert. Wir haben in einem alten Swimming Pool aufgenommen, ursprünglich war es das Studio von Sigur Rós. Da ist ein gutes Klavier, deshalb haben wir es gewählt. Ich habe zwei verschiedene Drummer und Bassisten gesucht, um unterschiedliche Vibes zu haben. Die CD wollte ich eher als Pop-Album anlegen. Alle Instrumente wurden live in einem großen Raum aufgenommen. Die Mischung zwischen Jazz und einem eher Singer/Songwriter-Aspekt passte für mich.“

Anna Gréta hatte sich lange nur als Instrumentalistin gesehen. Hätte ihr jemand gesagt, dass sie ein Album als Sängerin aufnehmen würde, hätte sie wohl gelacht und es nicht geglaubt. „Ich spiele Klavier, seit ich acht bin. Ich habe mich immer nur als Pianistin gesehen. Als Frau in der Jazzszene wird man ja immer gefragt, ob man nicht singt. Meine erste Lieblingsband waren die Beatles, und jetzt fühlt es sich ein bisschen so an, als würde ich dahin zurückgehen, wie ich Musik zu Beginn gehört habe. Ich hatte immer Lieder, an denen ich gearbeitet habe, auch mit Texten. Jetzt war es so weit, an meiner Stimme zu arbeiten.“

Der Titeltrack entstand nach einer Birdwatching-Tour in Gotland, bei der die Musikerin eine Nachtschwalbe am Nachthimmel beobachten konnte. „Es geht um die Suche nach etwas Speziellem und Einzigartigem. Etwas, das du – je intensiver du suchst – unwahrscheinlicher findest. Du musst wissen, was du suchst und eine entspannte Haltung der Suche gegenüber haben.“ Alle Stücke samt Texten stammen von Anna Gréta, bis auf „The Tunnel“, dem ein Gedicht von Robert Creeley zugrunde liegt. „Das entstand noch zu Studienzeiten, es war eine Aufgabe vom Konservatorium, aber das Stück blieb bei mir. Ich mag das Gedicht sehr.“

Als roter Faden zieht sich das Thema Natur durch das Album, in den Songtiteln finden sich

Flüsse, Berge und Himmel wieder. „Natur ist auf jeden Fall sehr wichtig für mich. Sie ist die Essenz meiner Inspiration. Vielleicht, weil ich in Island aufgewachsen bin, vielleicht auch, weil ich immer in der Stadt gelebt habe – trotzdem war die Natur nah. Sie balanciert das Laute, Hektische der Stadt wieder aus.“ Die Inspirationen führten zu einem ganz speziellen Klangbild, A Nightjar in the Northern Sky ist kein typisches Jazz-Album. „Ray of Sun“ enthält ein sparsames Klaviersolo, das mitgesungen und von der Gitarre unterstützt wird. Oft ist Anna Grétas Gesang gedoppelt, dann klingt das Album sehr poppig. Skúli Sverrisson ist als ständig vorantreibender Unruheherd am E-Bass zu erleben. Ganz speziell ist der Klaviersound, der eher nach einem kleinen, intim aufgenommenen Klavier klingt. Anna Gréta lacht. „Das war kein fancy Steinway. Mein klassischer Background wollte etwas Brillantes haben. Aber in dem Studio war nur ein kleiner Flügel, ich habe ihn ausprobiert, er klang warm und hatte viel Charakter. Ich mag den Sound, es ist nicht der typische Steinway-Flügel-Sound, den du auf Jazzaufnahmen hörst, es ist ein Klavier mit einer Geschichte.“

Dass sie mit ihrem Album beim Münchner ACT-Label gelandet ist, freut die Isländerin.

Ich hatte Kontakt aufgenommen. Aber offenbar kannte Siggi Loch mich schon, er kannte mein Vorgängeralbum mit Max Schultz. Er mochte das Album und war schnell bereit, es zu veröffentlichen.“ Dass Anna Gréta 2019 den renommierten Monika Zetterlund Award erhalten hat, hat sicher mitgeholfen. Der Preis ist eine wichtige Auszeichnung. „Es ist eine große Ehre, den als Nicht-Schwedin zu bekommen. Monika Zetterlund ist eine der schwedischen Künstlerinnen, die ich viel gehört habe, noch bevor ich nach Schweden gezogen bin. Ihr Album, das sie mit Bill Evans aufgenommen hat, hat mich mit seinem warmen Sound beeinflusst.“ Mit ihrem Debüt fliegt Anna Gréta jetzt los, wie eine Schwalbe am nächtlichen Polarhimmel.

Anna Gréta © Birna Ketilsdóttir Schram

Aktuelles Album:

Anna Gréta: A Nightjar in the Northern Sky (ACT / Edel:Kultur)