HÖRBUCHT

ARSCHKRAMPEN UND SUPERHELDEN

Freaks. Überall Freaks. Und was ist deine Superkraft? Death Metal hören zum Einschlafen? Facebook, Whatsapp und Instagram gleichzeitig lahmlegen? Die beste Ampelkoalition der Welt schmieden? Während Elektroman etwa ganz gut anfing, um dann als Blitze schleudernde Arschkrampe auf die dunkle Seite der Macht zu wechseln, fragt sich Wonderwoman wohl heute noch, was eigentlich ihre Kernkompetenz ist in der großen Wundertüte des Multitaskings. And she wonders… Superjazzman scheitert beim Anträgestellen gnadenlos an Bürokratie-Brainiac, dessen Kryptonit eine infernalische Waffe aus Ablehnungsstempeln und Zeitspiel ist. Mega-Kevin raucht Kette und lässt Köpfe rauchen, hat es vom Juso-Vorsitzenden längst in seine eigene Doku-Soap geschafft. Und während Wienermann es mit Charme und Schmäh macht, mutiert Korrektorman angesichts von Free-Jazz-Syntax zum Facepalm-Fonzie. Freaks. Überall Freaks. In der Hörbucht…

Björn Simon

Sven Regener

Glitterschnitter

Tacheles! / Roof Music

4,5 Sterne

Das wird super“ ist gleich das erste Kapitel überschrieben, und was kann da schon noch schiefgehen. Sven Regener hat die Corona-Zeit dazu genutzt, mal wieder das komplette schräge Personal rund um Frank „Herr“ Lehmann herbeizufabulieren und ein weiteres Mal die alternative Kneipen- und Künstlerszene im Kreuzberg der 80er Jahre zum Leben zu erwecken. Glitterschnitter ist bereits das sechste Buch, das im Lehmann-Universum spielt, die Handlung setzt nahtlos am Ende des Vorgängers Wiener Straße an und greift viele Fäden auf, die dort nicht zu Ende gesponnen waren.

Wieder mal werden Nichtigkeiten zu gewaltiger Größe aufgeblasen und aus Alltäglichem pseudophilosophische Betrachtungen abgeleitet. Vor allem aber wird in Glitterschnitter geredet, geredet und geredet – miteinander, übereinander und am liebsten aneinander vorbei, was die Verständigung mühsam und umständlich macht. Ja, das Buch hat Längen, und das ist eine seiner größten Stärken. Sven Regeners Talent, Dialoge und innere Monologe zu schreiben, die völlig skurril und gleichzeitig so realitätsnah sind, wie man es bei kaum einem anderen Autor zu lesen bekommt, treibt wieder prachtvolle Blüten. Noch größer ist nur Regeners Gabe, diese Dialoge anschließend angemessen schnodderig vorzulesen, was den Hörbuchfassungen seiner Bücher einen bezwingenden Charme gibt. Er jongliert mit zahlreichen parallelen Handlungssträngen und konstruiert Szenen wie im Boulevardtheater, wo zuverlässig immer gerade derjenige hereinkommt, der das größtmögliche Chaos verursacht.

Die Handlung spielt in großen Teilen in zwei Kneipen, dem „Einfall“, wo neuerdings Milchkaffee und Kuchen verkauft werden, und der von einer Künstlergruppe betriebenen „Intimfrisur“. Dass die Gruppe um ihren Anführer P. Immel ihre österreichische Herkunft neuerdings offensiv vor sich herträgt, gibt Regener die Gelegenheit, neben dem Herumberlinern mancher Charaktere auch noch ordentlich was wegzuwienern. Mehr oder weniger wichtige Rollen spielen die titelgebende Band Glitterschnitter, die mit Bohrmaschine, Schlagzeug und Keyboards auf einen Platz bei der Wall City Noise hofft, die Erste Ottakringer Shakespeare Kampfsportgesellschaft, eine notorisch lügende Saxofonistin, eine Gruppe von Klischee-Punks, Verantwortliche aus dem Kunstbetrieb, Kneipiers und und und.

Neben schönen Sätzen wie „Er verstand die beiden eigentlich ganz gut, auch wenn sie Unsinn redeten“, streut Regener Nachdenkliches ein: „Nirgendwo hatte P. Immel sich so frei gefühlt wie in West-Berlin, weil hier alles, aber auch wirklich alles total scheißegal war, aber der Preis dafür war Kälte und Gnadenlosigkeit. Mitleid war ein seltenes Gut. Die Menschen in dieser Stadt geizten damit, als hätten sie zugenähte Gemütstaschen.“

Wenn man davon ausgeht, und das kann man wohl, dass Regener die Geschehnisse in seinem Lehmann-Kosmos nicht von langer Hand durchgeplant hat, kann man nur bewundern, wie leichthändig er im schon Veröffentlichten immer wieder Anknüpfungspunkte findet, aus denen er neue Verästelungen herauswachsen lässt. Das sieht nicht danach aus, als wäre das baldige Versiegen seiner Erzähllust, des ewigen Gelabers zu befürchten. Das wird super.

Guido Diesing

Dietmar Wischmeyer

Begrabt meinen rechten Fuß auf der linken Spur

WortArt

4 Sterne

Der einfache Mann von der Straße ist eine rhetorische Figur, die heute nicht mehr allzu oft benutzt wird. Wolfgang Schrage, der Protagonist von Dietmar Wischmeyers erstem Roman, ist tatsächlich so einer, denn er arbeitet beim Straßenbau. Wie er seine Geschichte erzählt, ist ziemlich originell, dabei ist sein Leben eigentlich nichts Besonderes: Es geht um Eheschließung, Eigenheimbau, Wehrdienst, Ferienhaus, Autokauf, Familiengründung und alles, was so damit zusammenhängt. Dabei nimmt Schrage kein Blatt vor den Mund, und er hat auch keine Ahnung, warum er das tun sollte. Eigentlich ist er ein alter weißer Mann, aber zum Glück hat er keine Vorstellung davon, was das sein soll, und schon gar nicht, was schlecht daran sein könnte.

Schrage erzählt so nebenbei eine Geschichte der Bundesrepublik, vornehmlich der achtziger und neunziger Jahre, bei der man allerlei erfährt, was man vielleicht gar nicht wissen will. Wie beim Autobahnbau Giftmüll unter der Fahrbahn verbuddelt wird, wie man ein günstiges Baugrundstück findet, wie man seine eigene Hochzeit möglichst preiswert ausrichtet, ohne die angehende Gattin zu vergrätzen – alles berichtet Schrage alias Wischmeyer mit stoischer Schnodderigkeit, bei der derbe Formulierungen ganz selbstverständlich benutzt werden. Was zum Beispiel ein „Fliesentag“ ist, sollte man sich schon selbst erläutern lassen, er führt jedenfalls dazu, dass man die eigene Toilette einen Tag lang nicht benutzen darf.

Dabei fallen immer wieder Phrasen wie „Trick 17 mit Selbstüberlistung“, „sonst wirst du von jedem Schafscherer über den Tisch gezogen“ oder „potthässlich“, die man eigentlich längst für ausgestorben hielt. Schrage redet einfach, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, ist aber eigentlich toleranter, als man zuerst denkt, denn immer wieder enden seine Überlegungen in einem hingemurmelten „ist mir aber auch egal“. Dass er dabei auch kriminellen Seilschaften beim Projekt Deutsche Einheit auf die Schliche kommt, ist ihm allenfalls ein Schulterzucken wert.

Wer Wischmeyers Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten aus der heute-show kennt, hat eine Vorstellung davon, wie dessen Sprachduktus auch bei diesem Hörbuch klingt. Und ganz nebenbei erfährt man noch den wichtigen Unterschied zwischen Mon Cheri und Edlen Tropfen in Nuss.

Rolf Thomas