Bingen swingt
Bingen
Von Mirela Onel. Schwarz ist die Berufskleidung des Jazzmusikers. Dass das auch negative Konsequenzen haben kann, erfuhren Echoes of Swing am Samstagnachmittag beim Festival Bingen swingt am wunderschön gelegenen Rhein-Nahe-Eck, denn die Bühne lag bei 37 ° im Schatten in der prallen Sonne, während das Publikum sich in den wenigen Schattenbereichen drängte. Pianist Bernd Lhotzky und seine drei Mitstreiter ließen sich davon allerdings nicht abhalten, ein herausragendes Konzert mit originell arrangierten Kabinettstückchen wie Duke Ellingtons selten gespieltem „On a Turquoise Cloud“ zu zelebrieren.
Aus einem etwas betulichen Jazz-Volksfest hat die künstlerische Leiterin Christiane Böhnke-Geisse in den letzten Jahren ein ambitioniertes Festival gezimmert, das in diesem Jahr mit Weltstars des Jazz wie Michael Wollny, Jorge Rossy und Omer Klein aufwarten konnte. Das Programm war mit Höhepunkten gespickt. Unter der Devise „Hammond & Keys“ waren mit Raphael Wressnig und Barbara Dennerlein – sie sorgte allein mit ihren Basspedalen in der Rolle als Bassistin für Szenenapplaus – nicht nur zwei wichtige Vertreter des Hammond-Ungetüms am Start, auch herausragende Pianisten wie der Israeli Omer Klein, die Australierin Sarah McKenzie und der Luxemburger Michel Reis sorgten mit ihren Bands für Furore. In der SWR2-Kulturnacht standen mit Michael Wollny und Emile Parisien zwei ganz große Improvisatoren auf der Bühne des Bingener Kongresszentrums. Sie nahmen die Bälle auf, die Christian Brückner – die deutsche Synchronstimme von Robert de Niro – ihnen zuspielte. Er trug Ausschnitte aus den Geschichten vor, die der Brite Geoff Dyer in seinem epochalen Buch But Beautiful geschrieben hat – für Keith Jarrett das einzige Jazzbuch, das er seinen Freunden empfehlen würde.
Auf zahlreichen Bühnen in der Bingener Innenstadt konnte man außerdem Entdeckungen machen wie die gewitzt vorgetragenen Songs des Schweizer Sängers und Pianisten Raphael Jost, dessen Band mit Stars der Schweizer Szene wie dem Bassisten Raphael Walser und dem Saxofonisten Christoph Grab gespickt war, oder die orientalischen Latin-Jazz-Songs von Lily Dahab. Die Argentinierin, Enkelin syrischer und türkischer Immigranten, überzeugte nicht nur mit ihrer klaren und kräftigen Stimme, sondern auch mit einer Bühnenshow, die optische und akustische Elemente geschickt miteinander in Beziehung setzte. Johannes Enders, mit über zwei Metern Deutschlands größter Saxofonist, präsentierte sein neues Trio EndOrg mit Schlagzeug-Star Jorge Rossy und dem slowenischen Organisten Renato Chicco. Der süffige Sound ließ einen die Hitze vergessen.