In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Marco Ambrosini / Ensemble Supersonus

Resonances

ECM / Universal

5 Sterne

Schlichtweg sensationell müsste das Debüt von Marco Ambrosinis Ensemble Supersonus genannt werden, klänge dieses marktschreierische Attribut für die zarte, empfindliche Musik darauf nicht viel zu laut und vollmundig. Was auf Resonances zu hören ist, wirkt gleichermaßen gegenwärtig wie archaisch. Das seit 2014 bestehende Quintett erzielt seine ganz und gar eigenwillige Klangfarbmischung in einer Kombination ungewöhnlicher Instrumente: Ambrosini, ECM-Hörern etwa als Sideman von Rolf Lislevand und Duo-Partner von Jean-Louis Matinier vertraut, ist als einer der wenigen Virtuosen der Nyckelharpa bekannt, der die schwedische Schlüsselgeige jenseits der skandinavischen Volksmusiktradition einsetzt und ihr sowohl in der Barock- als auch in der zeitgenössischen Musik neue Geltungsbereiche erobert hat. Anna-Liisa Eller bedient das estnische Zupfinstrument Kannel, eine eng mit der finnischen Kantele verwandte griffbrettlose Kastenzither. Der Österreicher Wolf Janscha ist ein Experte der Maultrommel, deren Spieltechnik er quer durch viele Kulturen studiert hat. Die in Tübingen geborene Eva-Maria Rusche, hier an Cembalo und Tafelklavier zu hören, wirkt auch in anderen stilübergreifenden Formationen wie Oni Wytars, der Tabla-Takla Connection und Facilité. Anna-Maria Hefele gilt als Koryphäe des Obertongesangs, ihr polyphoner Ansatz ist atemberaubend. Auch ohne Steckdose elektrisierend – man höre nur Rusches famoses „Erimal Nopu“ oder das melismatische „Hicaz Hümâyun Saz Semâisi“ des im 18. Jahrhundert lebenden Komponisten Veli Dede. Weitere Highlights sind Bibers „Rosenkranz-Sonate Nr. 1“ sowie Stücke von Frescobaldi und Hildegard von Bingen.

Harry Schmidt

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Roberto Bonati

Vesper and Silence

ParmaFrontiere

4,5 Sterne

Dieses Album ist für diejenigen, die sich auf kontemplatives Hören – besser: Lauschen – verstehen und sich die Zeit nehmen, ein über einstündiges Konzert lang tief einzutauchen in Kontrabass-Klänge, live aufgenommen in der Abbazia di Valserena in der Nähe von Parma. Mit dem Titelstück „Vesper and Silence“ lotet der Italiener Roberto Bonati zunächst Klangräume und deren Reichweite im natürlichen Hall der Abtei aus, bevor er zum Bogen greift und beginnt, mit Obertönen, Flageoletts und Korpusgeräuschen langsam alle Register seines Instruments auszuprobieren. Sicher hat Bonati sein Konzert in der Abtei nachträglich in Tracks eingeteilt und wohl auch betitelt. Alle Stücke gehen ineinander über, da liegt es nahe, das gesamte Werk „am Stück“ zu hören. Wenn der Bassist mit „Mr. On Hammer On“ und dem folgenden „October 13th“ zum Pizzicato übergeht, entfaltet sich sein immens feines Gespür für Tonerzeugung. Bis auf das kurze „Solveigs Sang“ von Edvard Grieg spielt er durchweg eigene Stücke, viele davon sicher im Moment kreiert. Bonati vermeidet dabei meist durchgehende Metren, und wenn sie entstehen, lässt er sie kommen und gehen. Der Bassist, Komponist und Orchesterleiter, den nach eigenen Worten John Coltranes „India“ mit Reggie Workman und Jimmy Garrison an zwei Kontrabässen zu seinem Instrument geführt hat, verbeugt sich mit Vesper and Silence tief vor dessen klanglichem Kosmos und stellt seine große Musikalität unter Beweis.

Jan Kobrzinowski

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Fred Frith

Woodwork

Klanggalerie / Broken Silence

4 Sterne

Vor vier Jahrzehnten legte Fred Frith ein erstes komplett improvisiertes Solo-Album vor. Niemand kann wohl im Ansatz beziffern, wie viele Konzerte, Begegnungen, Projekte, Sessions, Aufnahmen seitdem dazugekommen sind. Jetzt dokumentiert der Brite, der heute in Kalifornien lebt, mit einem weiteren improvisierten Soloalbum den aktuellen Stand in seinem unermüdlichen Schaffen. Unter dem Titel Woodwork bleibt er sich selbst und der Philosophie eines intuitiven Improvisierens treu. Schon Titel und Coverdesign deuten darauf hin, dass es hier um Stofflichkeit, um die Haptik von Klängen geht. Oder eben um kompromissloses Loslassen und die Absage an jedes lineare Musikmachen.

r echtes Eintauchen braucht es hier etwas Zeit, und die wird auch dem Hörer abgefordert: Frith verweilt über lange Zeiträume in einer abstrakten Ursubstanz, wo erst mal eine sperrige Geräuschwelt zu durchdringen, zu überwinden ist. Unerbittlich pochende perkussive Aktionen mahnen zum Dranbleiben. Denn zunehmend wuchert mehr aus den Keimzellen, verästeln sich hochfrequente Figuren zu einem schillernden Netz aus improvisierten Mikrokosmen, die zunehmend anspielungsreicher, gitarristischer und auch in musikalischer Hinsicht sehr konkret werden, nicht nur, wenn sie im Psychedelic Rock wildern. Weiter geht der additive Prozess, mit dem die von Fred Frith modifizierte Stromgitarre tiefe Drones, Feedbackschleifen und Noise-Elemente integriert. Musikalische Klischees sehr weit weg, wenn Frith zur Höchstform aufläuft. In diesem Fall in einem zeitlosen“ 40-Minuten-Take, gefolgt von einem kurzen Zugabenstück, bei dem auch eine menschliche Stimme zum Einsatz kommt.

Stefan Pieper