Céline Rudolph

Lobpreis des Loslassens

© Jordana Schramm

Mit der selbstbetitelten Debütplatte ihres neuen Projekts Soniqs setzt die musikalische Weltenbummlerin Céline Rudolph auf Sounds, die ihre beinahe schon unheimliche Sogkraft aus dem Leisen, Sanften, Subtilen beziehen – und obendrein eine wunderbare Liebeserklärung an sich selbst, wenn nicht gleich die ganze Welt, ja, an das Leben an sich sind.

Von Victoriah Szirmai

Soundbestimmend für die Spontanvertonungen ihrer lyrischen Miniaturen ist das sich Überlagernde, Geloopte und Gefilterte nicht zuletzt Soniqs-Mitbegründer und Klangtüftler Sebastian Merk geschuldet, auf dessen eigens kreiertem Drum-Set sich Keys und Electronics mit Videokunst vereinen. Er greift zu puzzleteilartigen Samples von Rudolphs Stimme, die er durch eine Art Soundsieb jagt und rhythmisch neu zusammensetzt, derweil der kubanische Altsaxofonist und Flötist Regis Molina die lateinamerikanische Seite dieser Klänge weiter hervorkitzelt. Sebastian Studnitzky webt sowohl mit seiner – oft gedämpften – Trompete als auch am Wurlitzer einen extraweichen Klangteppich, der wohl ein fliegender sein muss, denn müsste man diese Platte in zwei Worten zusammenfassen, könnte man sagen: Alles schwebt. Oder fließt, denn das Wässrige, Durchlässige ist auch immer an Bord.

Stimmungsleitend im von Schmetterlingen, Vögeln und Fischen bevölkerten Klangkosmos ist aber in erster Linie die Sonne in ihren verschiedensten Erscheinungsformen, ob sie nun eine friedlich gleißende Goldwolke beleuchtet, ob wir ihr tanzend beim Untergang zusehen oder ob wir sie gar in uns selbst entdecken. Das kommt nicht von ungefähr, wie Rudolph erklärt: „Die Sonne bedeutet für mich eine tiefe spirituelle Sicht auf die Welt. Als selbstexistierendes Licht symbolisiert sie Zuversicht, Vision, Furchtlosigkeit und die Einsicht, dass unsere Existenz durch und durch gut ist. Sie hat die Kraft, über das Hier und Jetzt hinaus, das Ganze zum Strahlen zu bringen.“

Kein Wunder, dass diese durchweg zuversichtliche Platte mit den Worten „Good News“ beginnt, die genau das sind, was die Welt in diesen krisengeschüttelten Zeiten braucht – noch dazu wenn die News nicht schreiend daherkommen, sondern halb geflüstert, halb gehaucht, was zum genauen Hinhören zwingt. Und nur genau Hinhörende werden bemerken, dass die Bad News, es gäbe keinen Fallschirm, keinen doppelten Boden, wir befänden uns im freien Fall, gleichzeitig die Good News sind, die hier zu einem Lobpreis des Los-, Fallen- und Geschehenlassens geraten.

Dann lässt sich’s auch frohgemut der Sonne entgegenfliegen, wie es „Seven Butterflies“ über dezenten brasilianischen Rhythmen inklusive Ipanema-Flöte tun, während Rudolph ihre News unauf-, doch eindringlich weiterspinnt, hochkomplex einerseits, tiefenentspannt andererseits. Das rhythmisch vertrackte „Sundance“ wird von einem watteweichen Gewölk abgefedert, in das man sich ebenso vertrauensvoll fallenlassen kann wie in diese Stimme, die keine Worte benötigt, um sich mitzuteilen. „The Sun in Me“ verzaubert als nächtliches Märchen für Erwachsene, in welchem die Liebhaberin zum Liebhaber spricht: „Eat the sun in me“, und der dieser Aufforderung nur allzu gern Folge leistet, bis „the day opens its hands“. Rudolph gelingt es, das seinen beatleesken Schrammelcharme bewahrende Gainsbourg/Birkin-Duett „69 année érotique“ in seiner ganzen Morgenschläfrigkeit um Klassen sinnlicher klingen zu lassen als das Original, übertroffen nur von der sich langsam ins Orgiastische steigernden Selbstliebehymne „Inner Room II“.

Wie die unaufdringlich-sanfte „Muse“ zieht die ganze Platte ihre Wirkung aus dem Subtilen, das beeindruckender ist als jedes Soundgewitter. Rudolph zufolge liegt das an einer Kompositionsweise, die sie mit einer ausgeklügelten Webtechnik vergleicht, welche „die Sicht auf ein großes Bild von Weitem erlaubt, das man in der Schönheit als Ganzes genießt“, während gleichzeitig die Ansicht, „je mehr wir uns nähern, auf weiteren Ebenen interessant“ ist. Nur wer genau hinhört, entdeckt „die Muster im Detail, die verschiedenen Woll- oder Seidengarne, die Silber- und Goldfäden, die Farbtöne, die wie im Mosaik nuanciert schillern“, ließen doch „die vielen musikalischen Ebenen, die ich melodisch und rhythmisch verwoben habe, immer neue Perspektiven zu, die wir körperlich erfühlen und gleichzeitig intellektuell erfassen können“, so dass ein „holistisches Erlebnis aus der architektonischen Substanz heraus“ entsteht.

Das Album ist zwar schon an dieser Stelle weitestgehend in sich geschlossen, dennoch muss man mit allen Mitleid haben, die den CD-Bonustrack „Do Fundo Do Peito“ nicht als Abschluss erleben. Wäre er ein Wiegenlied, man könnte nicht einschlafen, sondern würde sich wehmutswach hingegossen am Fenster wiederfinden, auf dass endlich eine goldene Morgensonne sich der nachtschwarzen Gedanken bemächtigen und man wieder in jenen vertrauensvollen Flow fallen möge, den eine Musik bietet, deren einzelne Elemente nicht nur zu einem großen Ganzen erklingen, sondern, so Rudolph, „deren Teile und das Ganze eigentlich dasselbe sind, wie Wassermoleküle und das große Meer“.

Aktuelles Album:

Céline Rudolph: Soniqs (Obsessions / Membran)