Jazzdor

Berlin

© Peter Bastian

Von Peter Bastian. Wieder mal wurde dem Publikum an vier Tagen im Kesselhaus der Kulturbrauerei in Berlin erstklassiger Jazz von französischen, deutschen und gemischten Bands geboten, hier und da gab es auch mal einen amerikanischen Gast zu verzeichnen. Schon der Auftakt des Festivals ist ein Knaller! Was der Geiger Clément Janinet und seine Band O.U.R.S. mit Hugues Mayot (ts, b-cl), Joachim Florent (b) und Emmanuel Scarpa (vib, dr) für ein faszinierendes Klanguniversum präsentieren, ist umwerfend und großartig. Das Quartett verarbeitet in eigenen Stücken Einflüsse etwa von Ornette Coleman oder Steve Reichs Minimalismus. Auch der Saxofonist Christophe Monniot hat in seiner Band mit Aymeric Avice (tp), Nguyên Lê (g), Jozef Dumoulin (keyb), Bruno Chevillon (b) und Franck Vaillant (dr) hervorragende Musiker versammelt. Er sieht sich von Weather Report genauso beeinflusst wie von Olivier Messiaen und feiert den Jazz als permanente Reise und ewigen Migrationsstrom – ein schöner Gedanke.

Im Fall von Élodie Pasquier und Didier Ithursarry ergeben Klarinette und Akkordeon ein wunderschönes Duo mit Etüden zwischen Renaissance und Improvisation. Das Trio Ostrakinda des E-Bassisten Olivier Lété ist anfangs etwas zu sehr in sich gekehrt, so dass es schwierig ist, von außen zu folgen, steigert sich aber zum Ende hin ein wenig. Etwas weit hergeholt wirkt das Konzept der beiden Saxofonisten Sylvain Rifflet und Jon Irabagon, Zitate etwa von Greta Thunberg oder Martin Luther King an die Wand zu werfen, um dann mit ihrem Quartett „die Energie der Rebellion“ als Motor der Improvisation zu nutzen.

Noch ein Amerikaner am Saxofon, Tony Malaby, begleitet am dritten Tag den ausgezeichneten Keyboarder Jozef Dumoulin und den Schlagzeuger Samuel Ber. Was Dumoulin aus seinen Tasten, Kabeln, Knöpfen und Pedalen hervorzaubert und wie sich Malaby und Ber da hineinwühlen, gehört zum Spannendsten im aktuellen Jazz und macht große Freude. Auch Richard Bonnet, François Raulin, Mike Ladd, Bruno Chevillon und Tom Rainey (g, p, voc, b, dr) überzeugen mit ihrer Verknüpfung von Wort und Ton, die an das japanische Haiku anknüpfen. Daraus ergeben sich rhythmisch äußerst interessante Improvisationen. Der französische Saxofonist Musina Ebobissé und die russische Instrumentenkollegin Olga Amelchenko finden im Quintett Engrams dagegen nicht wirklich aus dem „verderblichen Nebel der Pandemie“ heraus, wie sie es versprochen hatten.

Der letzte Tag beginnt mit einem fulminanten Trio: Aki Takase (p), Louis Sclavis (b-cl) und Vincent Courtois (clo) stehen für erstklassige improvisierte Kammermusik des 21. Jahrhunderts. Zwischen schottischem Volkslied und schillernden Kollektivimprovisationen mit präpariertem Klavier sprengt das Trio ständig Genregrenzen. Die Flötistin und Sängerin Naïssam Jalal meint: „Man wird geheilt, wenn man der eigenen Dunkelheit begegnet“, und hat dafür ihre Healing Rituals mit Cello, Kontrabass und Schlagzeug parat – Stille, Trance und musikalische Schönheit. Heilen möchte auch der Saxofonist Daniel Erdmann. Mit seinem Sextett Thérapie de Couple schickt er Frankreich und Deutschland in die Paartherapie. Musikalisch kommt dabei mit Théo Ceccaldi (viol), Hélène Duret (cl), Vincent Courtois (vcl), Robert Lucaciu (b) und der hervorragenden Eva Klesse (dr) mitreißender moderner Jazz heraus. An dieser Band, sowie O.U.R.S., Takase und Jalal durfte sich auch das Publikum in der Dresdener Tonne erfreuen.