Deutscher Jazzpreis
Bremen
Von York Schaefer. Der Philosoph und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno war bekanntlich kein Freund des Jazz. Dieser habe „mit Kunst überhaupt gar nichts zu tun“ und sei nur ein Produkt der Kulturindustrie, die eine standardisierte Musik als Massenware vermarkte. Eine Veranstaltung wie die Verleihung des Deutschen Jazzpreises, die am Vorabend der jazzahead! im Bremer Metropol-Theater über die Bühne ging, hätte Adorno als Hauptvertreter der Kritischen Theorie wahrscheinlich ebenfalls als zweckorientierten Vermarktungs- und Verwaltungsakt der spätkapitalistischen Kulturindustrie gebrandmarkt.
Die beinahe wie ein Superstar überschwänglich angekündigte Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, war es, die sich bei der Preisverleihung in Bremen auf Adorno bezog und ihre Ausführungen dazu mit den Worten „Auch große Geister können irren“ schloss. Was einerseits natürlich stimmt: Jazz war immer schon auch progressive Kunst und Ausdruck von Freiheit. Adorno starb zudem bereits 1969 und hat Entwicklungen wie den Free Jazz oder den Spiritual Jazz mit ihrem autonomen und unabhängigen Kunstanspruch schlicht ignoriert oder einfach nicht mehr erlebt. Andererseits: Eine kritische Reflexion der Musikindustrie als solcher scheint angesichts monopolistischer Großkonzerne, der massenhaft verbreiteten Geschmackssteuerung durch Algorithmen, der „Reproduktion des Immergleichen“, wie Adorno es nannte, auch heute noch angemessen.
Und trotzdem: In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren ist die Jazzszene jünger und hipper geworden, weiblicher und stilistisch offener. Eine positive Entwicklung angesichts einer Musik, die nach wie vor nur magere 1,5 Prozent Anteil am deutschen Musikmarkt ausmacht. Um hier noch mehr Schwung reinzubringen, wurde 2021 im Auftrag des Bundestags der Deutsche Jazzpreis als Nachfolger des gescheiterten Echo Jazz installiert. Eine Veranstaltung, die sich neben den oben genannten Attributen als erfreulich international erwies und mit 10.000 Euro für die Gewinner zudem gut dotiert ist – gerade wenn man bedenkt, dass viele Jazzmusiker allein von ihrer Kunst nicht leben können.
Unter den Preisträgern war die ganze Bandbreite und Relevanz des aktuellen Jazz vertreten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: die frei atmenden Punkt.Vrt.Plastik um Schlagzeuger Christian Lillinger als Band des Jahres, der Jazz-HipHop-Brückenbauer Magro aus Berlin für sein Debütalbum, der Preis für das Lebenswerk des 88-jährigen DDR-Jazzmusikers Ernst-Ludwig „Luten“ Petrowsky, dem der aus Chicago zugeschaltete Posaunist George E. Lewis eine anrührende und anekdotenreiche Grußbotschaft sendete.
Bei der Organisation des Abends hatten die Veranstalter im Vergleich zum Debüt dazugelernt. Aus einem zähen Dreieinhalb-Stunden-Stream in vier Clubs wurde eine kurzweilige, manchmal fast zu flotte Eineinhalb-Stunden-Show. Nur die Anzahl von 31 Kategorien scheint immer noch sehr hoch. Würde man die noch etwas entschlacken, wäre mehr Platz für spannende Auftritte wie den der Schweizer Preisträgerin Sylvie Courvoisier, die ihr Klavier mit getriebener Virtuosität bearbeitete, oder den der Britin Nubya Garcia aus der neuen Londoner Jazz-Schule. Daran hätte vielleicht sogar Theodor W. Adorno seine Freude gehabt.