Deutsches Jazzfestival

Frankfurt

© Sascha Rheker

Von Stefan Michalzik. Nominal kein Schwerpunkt – insgeheim schon: Auch das 50. Deutsche Jazzfestival in Frankfurt hat in der gerade mächtig Furore machenden jungen Londoner Jazzszene geschürft. Der Pianist Kit Downes hat sich mit seiner neuen Gruppe Enemy um den Bassisten Frans Petter Eldh und den Schlagzeuger James Maddren auf einen Triojazz von klassisch-harmonischem Zuschnitt kapriziert, zwischen verhaltener Kantabilität und pulsierend-eruptiven Gesten. Die Trompeterin Laura Jurd brachte mit ihrem Quartett Dinosaur in ausgeprägtem Strukturbewusstsein Einflüsse wie Bartók und Strawinsky mit einem dezenten Groove überein.

Mit einer spektakulären motorischen Spannung reflektierte das Quartett Boulez Materialism um den Vibrafonisten Christopher Dell sowie Jonas Westergaard (b) und Christian Lillinger (dr) sowie den Live-Remixer Johannes Brecht frei die Texturen der seriellen Kompositionstechnik von Pierre Boulez. Nicht minder herausragend der polnische Pianist Marcin Wasilewski mit seinem Trio, der Züge des musikalischen Impressionismus von Ravel und Skrjabin anklingen ließ. Eine atemberaubende kollektive Emphase prägte den Auftritt des 81-jährigen amerikanischen Tenorsaxofonisten und Flötisten Charles Lloyd, eines Pioniers der spirituell motivierten Freiheit im Jazz, mit seinem Quintett. Frappierend die west-östliche Begegnung des Tenor- und Sopransaxofonisten Christof Lauer mit dem türkischen Nayspieler Kudsi Erguner in expressiv aufgeladenen improvisatorischen Umschlingungen.

Reichlich Szenenapplaus konnten sich der indische Tablaspieler Zakir Hussain und die Mitglieder des All-Star-Trios Cross Currents um den Tenor- und Sopransaxofonisten Chris Potter und den Bassisten Dave Holland ob einer Furiosität auf dem gut abgesicherten Hochplateau einer okzidental-orientalen improvisatorischen Fusion gewiss sein. Melodic Ornette, das Ornette-Coleman-Projekt des Pianisten Joachim Kühn mit der hr-Bigband unter Jim McNeely, bestach im Wechselspiel zwischen dem grandiosen Solistenensemble um Michel Portal (bcl, ss), François Moutin (b), Joey Baron (dr) und dem straff organisierten Orchesterklang.

Zu den Attraktionen des ersten Abends, der dem 50. Jubiläum des Münchner Labels ECM galt, gehörte das mit seinen schwebenden Klangfarbenspielen quasi prototypisch für den ECM-Sound stehende Quartett um den dänischen Gitarristen Jakob Bro wie auch das Ensemble Kolossus um den amerikanischen Bassisten Michael Formanek mit der hr-Bigband. Am altmodischsten waren – noch mal London – ausgerechnet die Hipster. Es ist vor allem das Erbe der 70er Jahre mit Fusionjazz und Funk, an das der Fender-Rhodes-Spieler Alfa Mist wie auch der in London lebende neuseeländische Schlagzeuger Myele Manzanza mit ihren Bands anknüpften. Nicht die Zukunft des Jazz, doch agierten hier improvisationsstarke Instrumentalisten, die Alfa Mists Sentenz „not jazzy enough for the jazzers“ spielend widerlegten.