Deutsches Jazzfestival

Frankfurt

© hr / Sascha Rheker

Von Stefan Michalzik. Wo ist die Musik, die „auf verblüffende und zugleich zwingende Weise neu und anders“ klingt, wie Jürgen Schwab, Programmgestalter des Hessischen Rundfunks, im Programmheft zum in seinem siebzigsten Jahr stehenden Deutschen Jazzfestival in Frankfurt das Quartett um den jungen, heute in Köln lebenden Darmstädter Bassisten Roger Kintopf preist? Momente einer kollektiven Emphase, verhaltene Lyrizismen und geräuschhafte Klangszenen, zu formbewusst und vital beackert, um es als Oldtime-Music der Freien Spielweise europäischer Prägung abzutun.

Die Musik der brillanten Klarinettistin Rebecca Trescher für ihr Quartett ist geprägt von einem kompositorischen Raffinement ohne Extravaganzen, mit Affinität zur vielzitierten ECM-Ästhetik. Entschieden mehr als bloß solide in seinem inspirierten Modernismus ist auch We’ll Rise, die Quartett-Unternehmung der Pianistin Anke Helfrich, eine Hommage an historisch bedeutende Frauen mit Spoken-Word-Anteilen.

Ein heimlicher Schwerpunkt des Festivals galt der Gitarre. Aus einem Fusionansatz heraus hat sich der aus Frankfurt stammende Torsten de Winkel mit dem international besetzten Septett The Art of Uncertainty – dem Exotismus abhold – auf den Pfad der marokkanischen Trancemusik Gnawa begeben, mit unter anderem dem Schlagzeuger und Guembrispieler Karim Ziad und dem Perkussionisten Rhani Krija.

Allzeit eine sichere Bank ist der amerikanische Gitarrist John Scofield, unvermindert mitreißend das mit Blues, Country, Folk und Rock’n’Roll gesättigte Spiel in seiner lässig beiläufigen technischen Hyperfinesse. Grandios sein Trio um die langjährigen Weggefährten Vicente Archer (b) und Bill Stewart (dr). Das Spektrum der Auswahl aus dem von ihr herausgegebenen Songbook New Standards mit 101 Kompositionen von Frauen, das die US-Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington und die hr-Bigband in den Arrangements von Jim McNeely gespielt haben, reicht von Anke Helfrichs schnittig boppendem „Upper Westside“ über die Fusion in Luciana Souzas „At the Fair“ bis zu Eliane Elias‘ auf die Spitze getrieben barschwülstiger Ballade „Moments“. Nachgerade combohaft kompakt das Quartett Virtual Leak um die famose Kölner Trompeterin und Flügelhornspielerin Heidi Bayer, zwischen Bop und Free, in jeder Hinsicht auf der Höhe.

Weitreichend im Schimärisch-Skizzenhaften bewegt sich das mit zwei Kontrabassisten, einem E-Bass und zwei Schlagzeugern besetzte All-Star-Septett um den Altmeister Joe Lovano an Tenor- und Sopransaxofon und den dänischen Gitarristen Jakob Bro, das unter dem Titel Once Around the Room eine Hommage an den Schlagzeug-Neuerer Paul Motian vorgelegt hat.

Nicht durchgängig zwingend exemplarisch geriet die Auswahl mit Blick auf beharrend vorwärtstreibende Kräfte, durchaus anregend freilich die freundliche Buntscheckigkeit mit nicht wenigen Glanzlichtern – und wohl mehr Frauen als jemals zuvor. Streams von neun Konzerten des Deutschen Jazzfestivals sind noch bis in die letzte Januarwoche auf ARTE Concert zu finden.