Deutsches Jazzfestival

Frankfurt

Lucia Cadotsch – Vocals, Otis Sandsjö – Saxophone, Petter Eldh – Bass
, © hr/Sascha Rheker

Von Hans-Jürgen Linke. Vier Konzertabende und eine Absage: Krankheitshalber fiel die Eröffnung des 52. Deutschen Jazzfestivals in Frankfurt mit Jazzmeia Horn aus. Was vom Festival übrig blieb, war gleichwohl nicht wenig.

Als Programm-Schwerpunkt war die menschliche Stimme annonciert, da hätte Jazzmeia Horn gut gepasst. Immerhin blieben der Schweizer Stimmkünstler Andreas Schaerer, die Sängerin Thana Alexa (im wummerigen Quartett um den Schlagzeuger und Komponisten Antonio Sánchez), das weibliche Vokalquartett Of Cabbage and Kings und Lucia Cadotschs Trio Speak Low. Thana Alexas kunstvoll-konventionelle Show kontrastierte mit Lucia Cadotschs intimen, vielsagend- und mehrmeinend-eigensinnigen Song-Interpretationen. Die raffinierten Harmonielinien und farbigen Klangweisen des A-cappella-Quartetts Of Cabbages and Kings bildeten einen krassen Gegensatz zu Schaerers erstaunlichen Fähigkeiten, aus Gesang, Lauten, Klangnachahmungen und perkussiven Vokal-Effekten eine eigene Welt zu erzeugen. Viel mehr als auf diesem Festival zu hören war, gibt es in Sachen „Die Kunst der Stimme“ zurzeit kaum zu singen und sagen.

Die Festival-Dramaturgie fiel durch Kontrastbildungen auf. Sánchez triefend elektronisches Breitwand-Quartett folgte auf Schaerers ausgreifend-wohlklingendes Quartett A Novel Of Anomaly mit Luciano Biondini am schifferklavierhaften Knopf-Akkordeon, Kalle Kalima an der multiplen Gitarre und Lucas Nigglis filigranem Schlagwerk-Freigeist.

Andreas Schaerer, Kalle Kalima © hr/Sascha Rheker

Der zweite Abend im hr-Sendesaal – mit pandemisch weiträumigen Lücken in den Publikumsreihen – gehörte dem Fabian Dudek Quartett, das mit geringem Aufwand an Groove, intensiver Phrasierungskultur und präzise kalkulierter Energie weite Räume eröffnete. Was dann folgte, war ein rares Musterbeispiel zeitgemäßer Bigband-Arbeit. Das Pablo Held Trio war Ideenwalzwerk und Rhythmusgruppe der hr-Bigband. Das Material war vom Trio angeliefert, Arrangeur und Chefdirigent Jim McNeely hatte es so raffiniert in die Sprachwelt der Bigband transformiert, dass man gar nicht mehr von Arrangement reden mag. Es war eher die geschichtsbewusste Vermählung zweier Welten: eines markanten Improvisationstrios und einer jazzorchestralen Formation.

Am dritten Kontrastfall waren weniger Musiker*innen beteiligt. Das Trio Speak Low mit Lucia Cadotsch, Peter Eldh (b) und Otis Sandsjö (ts, a-cl) brillierte mit der unprätentiös-intelligenten Interpretation klassischen Songmaterials. In denkwürdigem Gegensatz dazu stand der vorangegangene Act von Koma Saxo, bei dem Eldh und Sandsjö in einem überwältigend energetischen Kontext agierten, mit Jonas Kullhammar und Mikko Innanen an weiteren Saxofonen und Christian Lillinger am Schlagzeug. Lillinger war hier die stets mit mehreren Impulsen, Angeboten und Kommentaren zugleich agierende Mitte zwischen Bass und Bläserfraktion und ließ niemanden auch nur einen Augenblick in Ruhe. Am wenigsten sein Drumset. Am allerwenigsten sich selbst. Und schon gar nicht die Wahrnehmungsfähigkeit des Publikums.

An einem anderen Spielort, dem Mousonturm, war das polnisch-skandinavische Maciej Obara Quartet zu erleben, das Ornette Colemans harmolodische Spielweise auf eine zeitgemäße Spitze trieb, in dicht gefügtem Kollektiv, transparenter Reaktionsdichte und glühender Intensität. Der andere Mousonturm-Abend des Festivals gehörte dem A-cappella-Quartett Of Cabbages and Kings.