Diplomat

© Jasmin Schuller

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Botschafter des Jazz

Dem deutschen Volke“ prangt auf der Frontseite des deutschen Reichstags – die opulente Inschrift mit ihren sechzig Zentimeter großen Buchstaben und einer Breite von sechzehn Metern soll die Volkssouveränität würdigen und wurde deshalb von Kaiser Wilhelm II., in dessen Regentschaft sie 1916 angebracht wurde, abgelehnt. Das Berliner Quartett Diplomat widmet ihr neues Album dagegen Dem deutschen Jazz.

Von Rolf Thomas

Diplomat vereint den Posaunisten Gerhard Gschlößl und den Saxofonisten Felix Wahnschaffe mit dem Bassisten Johannes Fink und dem Schlagzeuger Matthias Ruppnig. Gemeinsam spielen sie zehn Eigenkompositionen, die von den langjährigen Erfahrungen der Bandmitglieder in der deutschen Jazzlandschaft der letzten Jahre und Jahrzehnte zehren.

Der Niederbayer Gschlößl gehört schon seit mindestens zwei Jahrzehnten zur Speerspitze der Berliner Jazz-Avantgarde und hat sich einst erste Meriten im deutsch-französischen Jazzensemble von Albert Mangelsdorff erworben. In Berlin hat er schon mit Musikern und Musikerinnen wie Wanja Slavin, Christian Lillinger, Jan Roder, Oliver Steidle, Silke Eberhard, Helga Plankensteiner, Gebhard Ullmann, Axel Dörner und Alexander von Schlippenbach gespielt. Ähnlich lang sieht diese Liste beim Bassisten Johannes Fink aus, der aus Erlangen stammt. Fink hat schon mit Aki Takase, Rudi Mahall, Daniel Erdmann, Lee Konitz, Rolf Kühn, Claudio Puntin, Michael Wollny, Marc Ducret, Louis Sclavis und Kurt Rosenwinkel Platten aufgenommen oder auf der Bühne gestanden. Ähnlich umtriebig ist der Saxofonist Felix Wahnschaffe, der in Bonn geboren wurde, für seine Band Das Rosa Rauschen bekannt ist und schon mit Miroslav Vitous, John Tchicai, Simon Nabatov, Steve Lacy, Helen Schneider und Sam Rivers zusammengearbeitet hat. Ganz so beeindruckend sieht der Lebenslauf von Matthias Ruppnig noch nicht aus, was einfach daran liegt, dass der Österreicher der Jüngste in der Band ist. Er unterhält sein eigenes Trio, hat aber auch schon mit Ben van Gelder, Tobias Meinhart und Ganna Gryniva gespielt.

Bei Diplomat spielen die vier eine anspielungsreiche Musik, die wie locker aus der Hüfte geschossen daherkommt. „Berlin ist unsere kreative Homebase“, erläutert Ruppnig. „Sie hat großen Einfluss auf unseren Stil. Die Menschen dort mögen es einfach nicht, in Schubladen gesteckt zu werden. In diesem Projekt geht es deshalb darum, bewusst die Regeln zu brechen und die richtige Balance zwischen traditionellem und avantgardistischem Jazz zu finden. Typisch Berlin eben, wo vieles anders klingt als im Rest der Republik.“

Lässige Hommagen an die Größen der Jazzgeschichte – etwa in „Kardinal Mendossa“ an Thelonious Monk – bereichern die Songs des Quartetts, die bei aller Komplexität immer wie zart dahingetupft klingen. Das Titelstück hat Gerhard Gschlößl geschrieben, der ebenso das kantige „Rot in Weiß“ beigesteuert hat – eine direkte Antwort auf Johannes Finks „Rot in Blau“. Die Bedeutung des Titels erklärt sich laut Fink von selbst: „Die Melodie samt Thema ist der rote Strang, während die Begleitung den blauen Strang repräsentiert.“

Fink hat noch weitere Stücke beigesteuert: Um wen es bei „Lacy“ geht, dürfte auf der Hand liegen. „JID“ dagegen steht für „Jazz in Darmstadt“ und Fink hat den Song für ein Konzert im dortigen Jazzinstitut komponiert. „Gospel No. 2“ hat der Bassist im Rahmen einer eigenen Gospelserie geschrieben: „Es entstand aus der Idee, eines Tages ein Album aufzunehmen, das ausschließlich aus Gospel- und Bluesnummern besteht.“ Manchmal gehen Fink aber auch die Titel aus – so ist „No. 377/378“ auf der Platte gelandet.

Vom schrägen Humor des Quartetts zeugen vor allem die Songs von Felix Wahnschaffe, die er „Rhythm in As-Pik“ und „Hauptsache F“ genannt hat – letzteres ein munterer Kehraus, bei dem Ruppnig Gelegenheit zu einem ausgiebigen Solo erhält. „Wie mein Spiel ist auch seins tief in der afroamerikanischen Jazztradition verwurzelt“, sagt der Drummer über den Saxofonisten. „Als jüngstes Bandmitglied kann ich viel von seiner Erfahrung und der der anderen lernen.“

Letzten Endes sind die Urheber der Songs aber gar nicht so entscheidend, denn Diplomat haben tatsächlich einen eigenen Bandsound kreiert, der von Ausgelassenheit, Interaktion und archaischer Spielfreude lebt. Den Kollektivgedanken betont auch Gerhard Gschlößl. „Jemand bringt eine Melodie, eine Akkordfolge oder einen Rhythmus mit, die von der Band aufgegriffen und weiterverarbeitet werden“, erläutert der Posaunist. „Es sind also alle vier Musiker am kreativen Prozess beteiligt. Ich mag es nicht, wenn jemand von ‚seiner‘ Komposition spricht und bestimmte Erwartungen hat, wie ein Stück am Ende klingen sollte. Wir sind ein demokratisches Ensemble, in dem jeder die Vorlage auf seine Art interpretieren kann.“ Dieser Einfallsreichtum bei der Interpretation ist es dann auch, der Dem deutschen Jazz gut zu Gesicht steht.

Aktuelles Album:

Diplomat: Dem deutschen Jazz (Berthold / Cargo)