Dot Time Records

Ein großer Punkt auf der Landkarte des Jazz

Ein kleines Label, dessen Geschichte und Portfolio alles andere als normal ist, hat sich in den letzten Jahren ins Rampenlicht geschoben. Mit einer Mischung aus aktuellen Veröffentlichungen und Wiederauflagen von Jazzlegenden wie Louis Armstrong oder Ella Fitzgerald – und alles in herausragender Qualität und feiner Aufmachung. Jazzfans und Vinyl-Liebhaber haben in Dot Time Records einen Garanten für audiophilen Genuss.

Von Angela Ballhorn

Dass Dot Time sowohl in New York als auch in Bremen mit einem Büro vertreten ist, macht das Label noch ungewöhnlicher. „Wir waren 2012 das erste Mal auf der jazzahead!“, erklärt Johanan Bickhardt, einer der Betreiber. „Ich habe mich zuerst in die Stadt verliebt. Zudem wusste ich: Wenn die Firma wachsen sollte, dann in Europa. Der Vertrieb der physischen Exemplare ist in Europa viel wichtiger als in den Staaten, wo es kaum noch Geschäfte gibt. 2016 ging ich nach Bremen und beschloss, auch das Shipping von Europa aus zu organisieren. Irgendwie sind wir ein europäisches Label, was die amerikanischen Künstler mögen. Die europäischen Künstler lieben, dass wir in New York vertreten sind. Die Vertriebsleute lieben, dass wir in Europa sind und der Versand einfacher ist. Außerdem lassen wir mittlerweile fast alles in Europa herstellen.“

Dot Time nimmt nur wenige Künstler unter Vertrag, und Jo Bickhardt und Jerry Roche legen viel Wert darauf, ihre Künstler gut zu behandeln. Der Anfang war schwer, erst im zweiten oder dritten Jahr wurde der Jazzmarkt auf das Label aufmerksam, als Aufnahmen von Zach Brock und Phil Markowitz erschienen. „Die Musik war immer fantastisch“, betont Bickhardt. „Wir haben in allem hohe Kriterien: Aufmachung, Design und Liefersystem. Aber das Wichtigste war, Besprechungen zu bekommen. Weil niemand von uns gehört hatte oder unsere Künstler kannte, war das schwer.“ Erst als Dot Time mit der Legends Serie startete, nahm die Jazzwelt Notiz. Jerry Roche arbeitete lange Jahre für Blue Notes Partnerlabel Mosaic, das auf Wiederveröffentlichungen spezialisiert ist. Inzwischen gibt es bei Dot Time zuvor unveröffentlichte Musik von Louis Armstrong, Ella Fitzgerald oder Chet Baker zu entdecken.

Aktuell erscheinen Aufnahmen von Lennie Tristano zu dessen 100. Geburtstag. „Der Pianist hat nie die Beachtung bekommen, die er verdient hätte. Er hat zehn Jahre vor Ornette Coleman mit Free Jazz begonnen. Es gibt leider kaum Filmaufnahmen von Tristano. Wir haben mit Lennies Tochter Carol gesprochen, und sie hat verstanden, dass es uns nicht ums Geldmachen geht, sondern auch darum, die Geschichte zurechtzurücken.“ Das Heranziehen von neuen Jazzfans ist Dot Time wichtig, denn man dürfe nicht vergessen, dass Künstler wie Louis Armstrong seit mittlerweile fast 50 Jahren tot seien. „Da gibt es nicht mehr viele Fans der ersten Generation.“

Doch Jo Bickhardt und Jerry Roche schauen nicht nur zurück in der Jazzgeschichte, sondern auch nach vorne. Neu im Programm sind Aufnahmen der europäischen Trompeter David Pastor und Tiziano Bianchi. „Für mich muss die Musik großartig sein, da ist es egal, was für Jazz es ist. Zwei Künstler, die wir in den letzten Jahren gesignt haben, könnten nicht unterschiedlicher sein: Catherine Russell ist eine großartige Interpretin von Jazzstandards und Blues und war Nummer 2 der US-Jazzcharts und Nummer 1 Jazzsängerin bei Amazon im März. Franklin Kiermyer dagegen ist ein Freejazz-Drummer, der mit Pharoah Sanders aufgenommen hat.“ Ganz begeistert sind die beiden, dass sie zwei Alben von Uli Beckerhoff veröffentlichen konnten. „Dieser Gentleman, 71 Jahre alt, hat einen der besten Trompetensounds, die ich je in meinem Leben gehört habe!“

Bremen wird nicht nur als Organisationszentrale genutzt, Dot Time hat das „Bremen Nord Studio Konzept“ entwickelt. „Es ist die perfekte Möglichkeit für den Künstler, vor Live-Studiopublikum zu spielen, eine One-Shot-Gelegenheit. Das Studio in Oberneuland ist echt vintage, und die beiden Techniker sind großartig. Unser letztes Album aus der Serie, David Pastors Filmmusiken, wurde noch nicht mal gemixt oder gemastert. Wir haben ein Konzert mit 60 Minuten, 46 Minuten kommen auf Vinyl, der Rest geht auf die digitalen Produkte.“

Deadlines setzen sich die beiden Dot-Time-Betreiber nicht mehr. Es soll alles richtig gemacht werden, auch wenn es mal länger dauert. Vor allem bei den Legends-Reihen ist es wichtig, Liner Notes von Fachleuten zu bekommen. „Die Texte müssen dich mitnehmen und eine zusätzliche Erfahrung sein. Wenn du die Liner Notes für Ella liest, fühlst du dich ins Konzert hineinversetzt. Für die Legacy haben wir absolute Fachleute. Wenn wir etwas Historisches machen, muss es in allen Bereichen gut sein!“

Jo und Jerry tragen keine stilistischen Scheuklappen, deshalb reicht die Bandbreite von Dot Time von Louis Armstrong bis hin zum Freejazz-Drummer Kiermyer. „Wir müssen das Gefühl haben, dass der Künstler gehört werden muss, dass Qualität da ist. Dann ist die musikalische Ausrichtung eher nebensächlich.“

Website:

www.dottimerecords.com

Aktuelle Veröffentlichungen:

Catherine Russell: Alone Together

Franklin Kiermyer: Solomon‘s Daughter

Uli Beckerhoff: Diversity

Wolfgang Lackerschmid and Chet Baker: Ballads for Two

Tiziano Bianchi: Relate

David Pastor: The Film Sessions