Elbjazz

J.P. Bimeni © Guido Diesing

Hafen, Hamburg

Von Guido Diesing. Ist das hier wirklich Elbjazz? Nicht eher Elbsoul, Elbfunk, vielleicht Elbdance? Oder ganz allgemein Elbparty mit Elbschlemmen? Wenn das hier Jazz sein soll – wo sind dann die grauen Bärte, die Studienräte, die verkniffenen Gesichter? Wer schon mal beim Elbjazz-Festival war, weiß, dass dort überkommene Jazzklischees wenig Chancen haben, auch weil der Stilbegriff sehr weit gedehnt wird. Wenn dann noch das Wetter mitspielt wie in diesem Jahr an beiden Tagen, sind es schnell 30.000 Besucher, die sich aus über 50 Konzerten (auf acht Bühnen) und ähnlich vielen Essständen ihr Menü zusammenstellen. Natürlich gibt es besonders auf dem Werftgelände von Blohm + Voss genügend Grund für den Jazzfan, sich über Zuschauer zu ärgern, denen ihr Lachs-Döner und der nächste Cocktail wichtiger sind als das nächste Solo von Michael Wollny. Denen es in erster Linie darum geht, sich an coolem Ort bei hochwertigem Essen ein wenig von leicht verdaulichen Klängen beschallen zu lassen. Aber man kann nicht leugnen: Wenn es darum geht, den Begriff Jazz in der jüngeren Generation positiv zu besetzen, leistet Elbjazz Großes.

Aline Frazao, Michael Schiefel © Guido Diesing

Und auch der Jazzpolizei-Anwärter findet seine Reservate, wenn auch immer weniger vor den großen Hauptbühnen. In diesem Jahr etwa bei Jason Moran, Wolfert Brederode, Frederik Köster, Hans Lüdemann oder der Legende Benny Golson. Den Isländern von ADHD gelang es wieder einmal, mit ihrer merkwürdig unspektakulären Musik zu fesseln, ohne dass man wirklich wüsste, warum eigentlich. Das Trio Shalosh erwischte am Tag des Liverpooler Champions-League-Triumphs den bestmöglichen Moment für seine Version von „You‘ll Never Walk Alone“, und Randy Brecker verstörte das Publikum kurzzeitig mit der Ankündigung, er wolle den folgenden Titel Donald Trump widmen. Um schnell anzufügen: „The tune is called ,Dipshit‘!“

Ein Gewinn war das Konzept Artist in Residence, das die Gelegenheit bot, die Pianistin Julia Hülsmann mit gleich drei Projekten zu erleben – unter zwei Bedingungen: Man musste bereit sein, auf parallel auftretende Künstler wie Jamie Cullum und Tower of Power zu verzichten (nicht so schwer), und man musste das Glück haben, eine der limitierten und deshalb begehrten Karten für den Großen Saal der Elbphilharmonie zu bekommen (sehr schwer), wo ihr abschließender Auftritt mit Beatles-Bearbeitungen stattfand. Dafür hatte sie ihr reguläres Trio um Theo Bleckmann (mit bestechend weichem Falsett) und dem recht rockigen Werner Neumann (g) interessant erweitert.

Julia Hülsmann © Guido Diesing

Da alle Musiker sich auch als Arrangeure präsentierten, gab es mehr Abwechslung als Stringenz, zu den Höhepunkten gehörten eine reharmonisierte Version von „Yesterday“ und ein rhythmisch vertracktes „Come Together“. Letzteres hatte Hülsmann schon am Vortag mit einem Oktett mit drei Stimmen (Aline Frazão, Michael Schiefel, Live Maria Roggen) gespielt und dabei ebenfalls ihre Affinität zur Songform unterstrichen. Eine ganz andere Seite zeigte sie in einem Kirchenkonzert im bemerkenswert gut eingespielten Duo mit Christopher Dell (vib): abstrakte Motive, die quer durch die Tonarten trieben und eine beruhigende Stimmung heraufbeschworen. Insgesamt die beeindruckende Leistungsschau einer sympathischen und unprätentiösen Künstlerin.