Enjoy Jazz

© Manfred Rinderspacher

Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen

Von Hans-Jürgen Linke. Vor einem Vierteljahrhundert lag bei Enjoy Jazz irgendwie die Idee nahe, das übliche Jazz-Festival-Modell von seiner Dreitägigkeit und der damit einhergehenden Hektik zu befreien und alles über einen längeren Zeitraum zu dehnen. Nach außen sah das, was herauskam, eher wie eine verdichtete saisonale Konzertreihe aus – von innen aber wies es konzeptionelle und organisatorische Konsequenz auf. Der Geist der dehnenden Befreiung blieb Bestandteil des Festivals, das sich über drei Städte (Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen) in zwei Bundesländern ausdehnte und von Jahr zu Jahr mehr Spielstätten in diesen Städten und ihren Umgebungen bespielte. Zugleich erweiterte es sich ästhetisch und konzeptionell, integrierte Symposien, Workshops, Lesungen, Publikumsgespräche, Theater, Bildende Kunst, ein Education-Programm, gab Kompositionsaufträge, verwischte Grenzen zwischen eingefahrenen Sparten des Musikbetriebs und forcierte regionale und internationale Kooperationsprojekte. Das alles bildete nicht zuletzt die rastlose Neugier und den weiten Horizont des Festivalleiters Rainer Kern ab, der nach 25 Jahren immer noch das Gesicht der Veranstaltung ist.

In einer Zeit, in der die Kultur ihr Publikum zurückgewinnen oder neu suchen muss, hat Enjoy Jazz sich jetzt erstmals unter ein Motto gestellt: Trust. Es warb für das Vertrauen seines Publikums in seine Innovations- und Integrationsfähigkeiten und praktiziert Vertrauen auch selbst. Zum Beispiel, indem es die Programmgestaltung zeitweise anderen internationalen Festivals überlässt. Oder indem es sich auf die zeitdiagnostische und soziale Kompetenz in Projekten verlässt, die von Frauen verantwortet werden. Oder indem es seine Fundierung im afroamerikanischen Jazz nicht vernachlässigt und trotzdem andere Einflüsse und Avantgarden angemessen präsentiert.

© Manfred Rinderspacher

Programmatisch auch beim Eröffnungskonzert. Das Kulturzentrum Karlstorbahnhof, wo alles angefangen hat, ist nicht mehr der alte Bahnhof am Rande der Heidelberger Altstadt, sondern ein neues und repräsentatives Kulturzentrum am südlichen Stadtrand. Zur Eröffnung gab es ein mehrdimensionales Abendprogramm mit selbstbewusster kunsthistorischer Einordnung und poetisch-politischen Unterströmungen: eine Sängerin und eine bildende Künstlerin aus Südafrika, ein deutsch-iranisch-fernöstliches Projekt der Sängerin, Pianistin, Komponistin und Lyrikerin Cymin Samawatie, in dem Lyrik aus dem Mittleren Osten mit einer seidenfein gewebten, klangreichen zeitgenössischen Musik eine spannungsreiche Verbindung (mit Zerreiß-Gefahr) einging. Dann eine perkussiv geerdete Performance der Formation um den Chicagoer Schlagzeuger und Multiinstrumentalisten Kahil El’Zabar, der seit den 1970er Jahren mit dem Ethnic Heritage Ensemble afrikanische Wurzeln des Jazz reflektiert.

© Manfred Rinderspacher

Die Zahl der Veranstaltungen (70) und der Zeitrahmen des Festivals (sechs Wochen) verbieten eine summarische oder selektive Würdigung, zu vielgesichtig und reich an Höhepunkten war Enjoy Jazz wieder. Und es war mit seinem Abschlusskonzert vom 4. November längst nicht zu Ende: Eine Woche danach gab es die Verleihung des SWR-Jazzpreises an Kathrin Pechlof, und genau genommen ging die Konzertreihe des Festivals mit einer Reihe von „Encores“ gleich in die nächste Runde.