Esther Kaiser
Songs aus den Tiefen des Wassers
Die Kombination von Songwriting und Jazz – kein neuer Trend, aber immer wieder gern genommen, zumindest bei Vokalist*innen. Der Sängerin und Komponistin Esther Kaiser ist ein vielfältiges, lyrisches und jazziges Album gelungen.
Von Jan Kobrzinowski
„Ich schreibe meine Songs immer sehr stark ausgehend von der Melodie“, sagt Kaiser zu diesem Thema. „Dabei können auch schon mal schräge oder abgründige Stücke wie ,The Sailor‘ herauskommen. Schon Cozy in Bed von 2009 war Songwriting-orientiert.“ Nun kommt sie bei ihrem neuen Album Water noch mehr zu sich selbst: „Ich erkenne: Was ist eigentlich mein Kern, und wie habe ich mich verändert, und was ist geblieben? Dabei kommt mir entgegen, dass ich mir beim Schreiben kein Konzept mache, sondern eher eine Idee. Es sind nicht diese oder jene Chords und Skalen, sondern die Songs entstehen aus dem Bedürfnis, Musik zu machen. Ich setze mich ans Klavier und probiere herum – es kommt alles aus dem Tun.“ Und wie verträgt sich dieses Herangehen mit Esthers Tätigkeit als Hochschul-Professorin in Dresden, wo sie Gesang und Songwriting im Bereich Jazz, Rock und Pop unterrichtet? „Abgesehen davon, dass sie ihre Skills lernen, sollen die Studierenden schon ihre eigenen Stücke schreiben. Ich arbeite mit ihnen an ihrer Kreativität und daran, dass sie ihren eigenen Ausdruck finden.“
Hat auch sie begonnen wie alle anderen und Standards gesungen? „Ja und Nein. Ich habe mir schon mit 13 oder 14 an der Gitarre Lieder ausgedacht. Mit Text und wiederholbar, und ich erinnere mich, schon bei einer Schulveranstaltung eigene Songs performt zu haben.“ Danach begann sie mit Gesangsunterricht, und so lernte sie auch die üblichen Jazzstandards kennen. „Das war damals, Anfang/Mitte der 1990er, schon spleenig genug, da hat keiner Jazz gesungen.“ Bald darauf bewarb sich Esther Kaiser in Berlin, wurde zum Studium bei Judy Niemack und Jiggs Whigham angenommen, und so blieb die Gitarre dann eher in der Ecke stehen.
Ihre langjährige Band mit Marc Muellbauer am Bass, dem Pianisten Tino Derado und Roland Schneider am Schlagzeug ist weit mehr als ein Begleittrio. Derado und Muellbauer genießen es sichtlich, Musik für Esthers Texte zu schreiben. Auf Water scheint insbesondere der Bassist ihr musikalisch mitunter wie auf Schritt und Tritt zu folgen. Die Band hat auch in der Corona-Zeit viel geprobt, auch Auftritte gab es. „Wir sind eine Playing Band, und viele der Songs sind aus dem Spiel heraus entstanden. Wenn allerdings diese Klammer mit dem übergreifenden Titel Water nicht gewesen wäre, hätte ich manche der Einfälle nicht gehabt. Bei aller Unterschiedlichkeit der Stücke ist dann alles aus einem Geist heraus entstanden.“
Die Songs auf Water werden immer wieder durch instrumentale Interludes verbunden. Und auch diese haben in irgendeiner Hinsicht etwas mit Wasser zu tun. Ein schönes Beispiel von Marc Muellbauers Einfühlsamkeit ist „Die Flut“. Sein Bassspiel umspült die Gesangs-Miniatur „The Sailor“, bei der sich Esther Kaiser selbst mit „wässrigen“ Synthie-Sounds begleitet, und das folgende „Don‘t We Know Better“, für das Muellbauer auch die Musik schrieb. Im Text geht es um selbstgefällige Populisten, die „respektlos mit Schönheit und Natur umgehen und lediglich ihren eigenen Profit im Sinn haben.“ Gleichzeitig stellt Esther Kaiser immer wieder selbstkritisch die Frage: „Würden wir selbst es denn wirklich besser machen?“
In musikalischer Analogie dazu tanzt ihre Stimme dann gerne auf mehreren Ebenen um die Klanggedichte herum und lässt so Raum für Deutungen und Geheimnisse. In „The Red Sea“ öffnet Gastmusikerin Marie-Christine Gitman mit der Oboe diesen Raum für eine wunderbar lyrische Ballade. Apropos Gäste: Bei zwei Stücken ist Sebastian Studnitzky zu hören, und gleich zweimal trifft der Trompeter voll ins Schwarze. Seine Harmonielinien und Soli in „Water“ bestätigen mit stets etwas verschwommenem Ton in perfekter Weise die Aussage der Songs. Im Album-Closer „Salty River – Epilog“, textlich eine Art ökologisches Haiku, harmoniert er vollendet mit dem Berliner Streichquartett Die Nixen. Pianist Tino Gerado greift für „Time’s a River“ zusätzlich zum Akkordeon und trägt so zur Klang- und Stilvielfalt des Albums auch noch ein wenig Tango-Flair bei.
Wodurch lässt sich Esther Kaiser zu ihren Texten inspirieren? „Wenn Themen mich beschäftigen, dann schreibe ich darüber einen Text. Manchmal lasse ich aber auch das Stück zu mir sprechen, das in der Regel vorher da ist. ‚The Ocean’s Song‘ von Tino Derado hieß, als es noch ohne Text war, ‚Last Words‘. Ich erinnerte mich an ein Buch mit Interviews mit Sterbenden, die Dinge bereuten, die sie nicht mehr tun konnten. Das wurde zum Aufhänger.“ Esther Kaisers Texte sind voller Assoziationen und Analogien, oft auch mit aktuellen Bezügen, die in diesem Fall das Thema Wasser in vieler Hinsicht bereitstellt. Ihre Art ist es, eher mit „fragender Haltung“ Texte zu schreiben, als Antworten bereitzuhalten. „Wildfires“ ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Realitäten in lyrischer Form ohne Plattheiten ans Ohr der Zuhörenden dringen können.
Aktuelles Album:
Esther Kaiser: Water (GLM / Edel:Kultur)