Flux Festival
Spektrum, Berlin

© Eric Mandel

Von Eric Mandel. Sie führt ein Nischendasein innerhalb einer Nische, die elektroakustische Szene Berlins, wo der Geist der europäischen Musikavantgarde am Limit des Hör- und Machbaren seit mehr als 20 Jahren fröhlich vor sich hinspukt. Die einstige Anorak-Szene (benannt nach ihrer ersten Heimat, einem Kellerclub im Prenzlauer Berg), morphte im Lauf der Zeit zur „Echtzeitmusik“: Klangforschung, Instrumentenbau, Feinelektronik und Grobelektrik, Hardware, Software, Improvisation, Komposition und Versuchsanordnungen werden jeden Abend neu kreiert, vernetzt, im Biofeedback mit dem Publikum weiterentwickelt. Nichts ist verboten, nichts permanent – und die lokale Szene längst globalisiert.

Flux Festival nannte Ignaz Schick, als Musiker fast von Anfang an dabei, dann auch seine Werkschau alter und neuer Bekannter mit Wohnsitz Berlin. 29 Solo-Performances an acht aufeinanderfolgenden Abenden forderten in familiärem Ambiente im Neuköllner Media Space Spektrum die Sinne heraus. In der ehemaligen Bäckerei gingen pro Abend nach dem Gesprächsteil vier Solo-Konzerte pünktlich, zumeist ausverkauft und technisch reibungslos über die Bühne. Im Schnitt gab es dabei je ein bis zwei grundsolide Performances, null bis einen Durchhänger und einen Höhepunkt. Verlässlich gut: Kaffe Matthews mit einem reinen, fein strukturierten Software-Set, und Richard Scott, der seinen Modular-Synthesizern Drones und Scapes entlockte. Es gab neue Gesichter wie Sofia Borges, die mit Kontaktmikrofonen bestückte Küchenutensilien und Field Recordings zu einer zarten Echtzeitcollage anrührte. Oder Jim Campbell alias False Rupture, der ein Arsenal von selbstverschraubten Synthesizern, Hardware-Prozessoren und Eigenbauten für ein dynamisches und forderndes Set aktivierte.

Eine der famosesten Vorstellungen kam am zweiten Abend von Andrea Neumann, die mit einem Stethoskop-Effekt den eigenen Körper zum Klingen brachte und den abgenommenen 120-bpm-Herzschlag in den Mix mit lustigen Klangerzeugern (Taschenventilator) und subtilen Klangprozessen leitete. Eine so physische wie subtile Performance, die auf dem Spektrum am entgegengesetzten Ende von fast körperlosen Auftritten – wie dem des spontan eingesprungenen Werner Dafeldecker – lag. Die schillernde Ausnahme bildete Mario de Vega aus Mexico City, der im eigens hergerichteten Raum fast komplett in Rotlicht und Kunstnebel verschwand und dabei einen DJ-Mixer traktierte. Hier lagen Präsenz und Verschwinden unter knirschenden Klängen im Dauerclinch.

Ein weiteres Highlight war Pianistin Rieko Okuda, die ein Solo auf dem Nordlead-Synthesizer spielte, der von Ignaz Schick als eigenständiges „neues Instrument“ angekündigt wurde. Was er damit meinte, sollte Okuda in den folgenden 20 Minuten beweisen, beginnend mit einem grollenden Drone im unteren Register, der sich unter Beimischung aller verfügbaren Verzerrer, EQs und Klirrfaktoren zu einem tosenden Tsunami aufbäumte und alle Tonalität zum Rauschen werden ließ. Filigraner, aber ebenso fesselnd: das Trompetensolo von Liz Albee, das Axel Dörner neidisch gemacht hätte, und die Klänge, die Cao Thanh Lan ihren akustischen Instrumenten entlockte und damit einen Klangraum für ein Stück Spoken Word kreierte. Unwiederholbare Momente, die gewisse Längen und Strapazen vergessen ließen. So ist das eben bei Familientreffen.